Vorträge
Mittwoch, 9. Oktober 2024, 18:30–20:00 Prof. em. Dr. Regine Mathias und Prof. em. Dr. Erich Pauer: „Vom Eisensand zum Schwert: Die traditionelle japanische tatara-Eisenherstellung“
Eisensand ist in der ganzen Welt verbreitet. In Japan gibt es Eisensand – japanisch satetsu –buchstäblich „wie Sand am Meer“. Die Vorkommen sind über das ganze Land verstreut und Fundstellen liegen in den Bergen, aber vor allem an Flüssen und an der Meeresküste, wohin die Flüsse den Sand von den Bergen geschwemmt haben. Da Japan nur sehr wenige Eisenerzvorkommen besitzt, war Eisensand über Jahrhunderte hin die wichtigste Ressource für die Eisen- und Stahlgewinnung.

In Shimane wurde bereits seit dem fünften Jahrhundert Eisensand verhüttet, wie archäologische Funde von tatara-Öfen aus dieser Zeit zeigen. Die Technik kam damals offenbar aus Korea nach Japan. Die geographische Nähe zur koreanischen Halbinsel und der für Japan relativ hohe Eisengehalt im Sand boten günstige Voraussetzungen für die Einführung des tatara-Verfahrens in dieser Region, aber im Laufe der Zeit wurde an vielen Orten in Japan Eisen und Stahl mithilfe des tatara-Verfahrens gewonnen. Dieser Stahl ist das Ausgangsmaterial für die berühmten japanischen Schwerter, die vor allem in der Edo-Zeit zur Grundausstattung eines Samurai/bushi gehörten. Heute ist Shimane die einzige Region in Japan, in der in einer „wiederbelebten“ Anlage noch ein- bis zweimal im Winter auf diese traditionelle Weise Stahl in hoher Qualität hergestellt wird, der dann an Schwertschmiede in ganz Japan verkauft wird.
Im Mittelpunkt des Vortrags stehen das tatara-Verfahren und die historische Entwicklung der Region Shimane zu einem Zentrum der Eisen- und Stahlverhüttung. Aber auch die vor allem in der Edo-Zeit entstandenen sozioökonomischen Strukturen und die Auswirkungen auf die Landschaft werden betrachtet. Und natürlich geht es auch um die „Wiederbelebung“ dieses traditionellen Handwerks, nachdem man es schon für tot erklärt hatte.

Erich Pauer war bis 2008 als Professor für Japanische Geschichte und Gesellschaft am Japan-Zentrum der Universität Marburg tätig. Sein Spezialgebiet ist die japanische Technikgeschichte. Durch die Recherchen zu seiner Dissertation über landwirtschaftliche Geräte in der Edo-Zeit kam er schon früh mit Fragen der traditionellen Eisenproduktion in Berührung und führte bereits 1973 Forschungen zur tatara-Eisenverhüttung in Shimane durch. Damals lag die Wiederaufnahme der tatara-Verhüttung gerade erst ein bis zwei Jahre zurück, und er konnte die Anfänge beobachten. 2018 reisten er und seine Frau, Regine Mathias, noch einmal nach Shimane, um das Silberbergwerk Iwami ginzan zu besuchen und die verschiedenen Entwicklungen in der tatara-Region zu erkunden. Dort erlebten sie den vielfältigen Wandel, den diese Region genommen hatte.
Regine Mathias war bis 2016 Professorin für Japanische Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum und hat sich schon früh für Fragen der japanischen Montangeschichte interessiert. Erste Arbeiten befassten sich mit der Entstehung der modernen Lohnarbeit im Kohlebergbau in Kyūshū im Rahmen der Industrialisierung. Später wandte sie sich dem Erzbergbau zu, vor allem der Gold-, Silber- und Kupfergewinnung. Sie untersuchte neben den sozio-ökonomischen Entwicklungen in den Erzrevieren vor allem das Genre der „Bergbau-Bildrollen“ (kinginzan-emaki). Bei der Reise nach Shimane 2018 war ihr Interesse vor allem auf das Silberbergwerk Iwami ginzan gerichtet, das in den 1530er Jahren durch die Einführung einer verbesserten Verhüttungsmethode vom Kontinent zu einer weltweit bekannten Silberproduktionsstätte wurde, die sich sogar auf frühen europäischen Karten wiederfindet. Silber und andere Erze haben, zusammen mit dem Eisensand, die Region über Jahrhunderte hin geprägt.