Vorträge
Mittwoch, 16. Oktober 2024, 18:30–20:00 Prof. Dr. Michael Facius: „Sakoku: Landesabschließung als Gesellschaftskritik“
Das Konzept der „Landesabschließung“ (sakoku) galt lange als Schlüsselbegriff zum Verständnis der frühneuzeitlichen japanischen Geschichte: Die Tokugawa-Regierung habe Japan in der Edo-Zeit (1600–1868) bewusst diplomatisch, wirtschaftlich und intellektuell von der Welt abgeschlossen und erst in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts aufgrund des militärischen Drucks der Vereinigten Staaten wieder „geöffnet“. Dieses Bild der japanischen frühen Neuzeit ist in akademischen Kreisen in den letzten dreißig Jahren grundlegend in Frage gestellt worden. Neuere Forschung zeigt die andauernde Einbindung Japans in regionale und globale Zusammenhänge auf und erklärt die Absicht der Tokugawa-Diplomatie nicht als eine versuchte Abschließung, sondern als Konstruktion einer eigenen „Weltordnung“.
Der japanische Begriff sakoku stammt überdies gar nicht aus der Zeit um 1630, als die Tokugawa-Regierung die Grundlagen ihrer Außenpolitik zementierte, sondern wurde erst 1801 geprägt, als der Gelehrte Shizuki Tadao eine Passage aus der History of Japan des deutschen Japanforschers Engelbert Kaempfer als Sakoku-ron („Essay über die Landesabschließung“) ins Japanische übersetzte. Seitdem wurde er in Japan vor allem im politischen Diskurs als gesellschaftskritisches Schlagwort zu Felde geführt: In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zusammen mit seinem Gegenbegriff der Landesöffnung (kaikoku), nach dem Zweiten Weltkrieg, als japanische Intellektuelle und Forscher nach den Ursachen für den japanischen Faschismus und Militarismus suchten, bis hin zu gegenwärtigen Publikationen, die eine neue Abschottung Japans fordern oder ablehnen.
Dieser Vortrag beleuchtet die Geschichte der Landesabschließung aus zwei Perspektiven: die der Globalgeschichte der Frühen Neuzeit sowie die der japanischen Gesellschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Er versteht die „Abschließung“ nicht als simple historische Wahrheit, sondern zuallererst als einen Diskurs, der eine kritische Haltung zur japanischen Kultur und Politik einnimmt, indem er Japans Verschlossenheit mit der Offenheit der übrigen Welt (insbesondere des Westens) kontrastiert. Er beleuchtet, wann und warum der Abschließungsdiskurs aufkam, von wem und zu welchen Zwecken er verwendet wurde, und wie er sich zwischen Geschichtsschreibung und Gesellschaft hin- und her bewegte.
Michael Facius ist Associate Professor am Tokyo College, einem Institut für weiterführende Studien der Universität Tokyo. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissensgeschichte, Kulturgeschichte, sowie Geschichte und Theorie der Geschichtswissenschaft in Japan in regionaler und globaler Perspektive. Zuvor arbeitete er als British Academy Newton International Fellow am Centre for Transnational History, University College London und als Koordinator der Graduiertenschule Global Intellectual History an der Freien Universität Berlin. Dort promovierte er auch in Japanologie und Globalgeschichte; eine überarbeitete Version seiner Doktorarbeit erschien 2017 bei Campus als China Übersetzen. Globalisierung und Chinesisches Wissen. Im Oktober 2022 führte er gemeinsam mit dem Goethe Institut ein künstlerisch-akademisches Festival namens metttafestival durch, das sich mit wandelnden Identitäten in den sozialen Medien beschäftigte. Eine Publikation der Ergebnisse dieses Projekts ist gerade in Vorbereitung. Eines seiner aktuellen Projekte mit dem Titel „Beyond Edo“ beschäftigt sich mit dem Wandel japanischer Bilder der Frühen Neuzeit im 20. Jahrhundert; der OAG-Vortrag stellt Ausschnitte dieses Projekts vor.
SOMMERZEIT!!
Zeit: 18.30-20.00 Uhr (Japan), 11.30-13.00 Uhr (MESZ)
Zoom-Link: https://us02web.zoom.us/j/84032626210?pwd=KQKd6zSNBeqEaRIsrbUOzKFBpFqWDb.1
Meeting ID: 840 3262 6210
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