Mittwoch, 28. April 2021, 18:30–20:00 Christoph Reichenbächer: „Ringen um ein Publikum: Sumo und die Unterhaltungsindustrie im Japan der frühen Neuzeit (1600-1890)“

Die zweieinhalb Jahrhunderte unter der politischen Vorherrschaft der Tokugawa veränderten das Aussehen der Gesellschaft und Kultur Japans grundlegend. Vor dem Beginn des 17. Jahrhunderts konzentrierten über die Inseln verstreute regionale Zentren militärischer Herrscherclans spezialisierte Unterhalter. Manche von ihnen strebten von Zeit zu Zeit zum religiösen Zentrum in Kyoto und sorgten mit ihren Reisen für regionalen Austausch.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts hingegen gab es neben festen Aufführungsstätten für Kabuki-Theater, Jōruri-Puppenspiel und -Tanzdramen in den drei Metropolen Edo, Osaka und Kyoto auch Freudenviertel, regelmäßige Kleinkunstunterhaltung auf öffentlich zugänglichen Plätzen, religiöse Feierlichkeiten sowie ein extensives Publikationsgewerbe, das alle erdenklichen Themen verwertete. Eine kulturelle Szene existierte selbst fern der Städte durch die Tätigkeit reisender Unterhalter, die Schaulustige versammelten und ihre Künste gegen einen kleinen Obolus darboten.

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In diesem sozio-ökonomischen Umfeld profilierte sich Sumo zu einer in urbanen Räumen ausgetragenen Form bezahlter Unterhaltung. Nicht zuletzt führten um das Jahr 1690 die Ausprägungen anderer Bühnenunterhaltungsvarianten zu einer Anpassung des Ringens an Normen städtischer Koexistenz. Über die nächsten einhundert Jahre hinweg entstanden zum Teil langlebige Trainingsgruppen in machtpolitischen Zen-tren. Vergleichbar zu anderen Unterhaltungsformen erlaubte zunehmende Prosperität in ländlichen Gebieten den Gruppenmitgliedern zudem regionale Touren für extensive Darbietungen. Am Ende des 18. Jahrhunderts gab es dann einen regulären Jahreskalender, der die Ringer zu den drei Metropolen führte und Regionaltouren bei An- und Abreise einplante.

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Dieser Vortrag wird sich mit den Veränderungen in der Unterhaltungsindustrie während der Edo-Zeit unter besonderer Berücksichtigung des Sumo als Bühnenkunst beschäftigen. Dabei folgt er einer Dreigliederung. Als Erstes geht es um eine Klärung der Ausgangslage, der Vorbedingungen für die Entstehung städtischer Unterhaltungsformen. Als nächstes kommen juristisch-politische Anpassungen sowie daraus folgende strukturelle Veränderungen zur Sprache. Im abschließenden Teil geht es dann um die Einbindung des Sumo und das erwachsende Verständnis für die Unterhaltungsindustrie als Ganze.

Christoph Reichenbächer ist Lektor für Deutsch und Vergleichende Kulturwissenschaften an der Präfekur-Universität Aichi in Nagakute und arbeitet derzeit an seiner Dissertation zum Kommunikationsnetz des Sumo in der ländlichen Gesellschaft des edo-zeitlichen Japan. Sein Forschungsinteresse erstreckt sich im Weiteren über Sportsoziologie und soziokulturellen Wandel während politischer Umformungsprozesse.

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