Mittwoch, 7. März 2018, 18:30–20:00 Dr. Chantal Weber: „Die japanische Mathematik wasan und ihre kulturhistorische Bedeutung in der Edo-Zeit“

In der Edo-Zeit (1603–1868) erlebten viele Künste wie der Tee-Weg oder das Haiku eine kulturelle Blütezeit. Neben professionellen Meistern gab es immer auch viele Laienanhänger, die eine sehr hohe Kunstfertigkeit erlangten. Auch die Kunst der Mathematik war davon nicht ausgenommen. In der Edo-Zeit erreichte die japanische Mathematik, wasan, dank Personen wie Seki Takakazu (?–1708) oder Takebe Katahiro (1664–1739) ihr höchstes Niveau und durchdrang gleichzeitig unterschiedliche Bereiche des Alltagslebens der Gesellschaft.

Bereits vorher waren in Japan die Rechenhölzchen (jap. sangi) aus China eingeführt worden, mit denen die vier Grundrechenarten bewerkstelligt werden konnten. Auch der Abakus, soroban, war bereits vor der Edo-Zeit in Japan in Gebrauch. Aber erst mit der Edo-Zeit erfolgte eine Abstraktion der Mathematik, die über die praktische Anwendung hinausging. Zahlreiche Rechenprobleme wie die Berechnung von Flächen oder von π wurden in Publikationen veröffentlicht und so einem breiteren Publikum zugänglich gemacht.

Die Popularität der Mathematik als Bestandteil des kulturellen Alltagslebens in der Edo-Zeit zeigt sich in Votivtafeln mit geometrischen Problemstellungen (sangaku), die in Schreinen und Tempeln aufgehängt wurden. Sie dienten nicht nur als Opfergabe, sondern auch als intellektuelle Herausforderung für andere Pilger. Aber auch in anderen kulturellen Bereichen kann die Verbindung mit der Mathematik beobachtet werden: So finden sich in zahlreichen zeitgenössischen Mathematikbüchern Darstellungen des Genjikō, einem auf dem Genji monogatari basierendes Spiel aus dem damals populären Duft-Weg (kōdō).

Abbildung: eine Seite aus dem Jinkōki von Yoshida Mitsuyoshi aus dem 17. Jahrhundert mit einer Darstellung der japanischen Version des Josephus-Problems (mamakodate) auf der rechten Seite.
Abbildung: eine Seite aus dem Jinkōki von Yoshida Mitsuyoshi aus dem 17. Jahrhundert mit einer Darstellung der japanischen Version des Josephus-Problems (mamakodate) auf der rechten Seite.

Der Begriff wasan für eine vermeintlich originäre japanische Mathematik etablierte sich erst in Abgrenzung zur westlichen Mathematik yōsan in der Meiji-Zeit (1868-1912), als im Zuge der Modernisierungsbestrebungen westliche Wissenschaften verstärkt Einzug in Japan hielten. Damit verschwand das wasan aber auch weitestgehend aus den Schulen und dem Alltagsleben, da die westliche Mathematik als überlegen empfunden wurde. Der japanische Abakus jedoch erfährt bis heute eine große Beliebtheit und wird als besonderes geistiges Training angesehen.

Dr. Chantal Weber ist seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Japanologie der Universität zu Köln. Nach dem Abschluss des Studiums der Japanologie, Klassischen Archäologie und Kunstgeschichte an der Universität zu Köln arbeitete sie im Rechenzentrum und im International Office der Universität Freiburg. 2011 wurde sie an der Universität zu Köln mit dem Thema „Kulturhistorische Netzwerkanalyse am Beispiel des Tee-Meisters Kanamori Sōwa“ promoviert. Ihre Forschungs- und Publikationsschwerpunkte sind vor allem kulturhistorische Aspekten Japans wie der Tee-Weg oder der Duft-Weg.

Dr. Chantal Weber
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