Vorträge
Mittwoch, 14. Oktober 2020, 18:30–20:00 Raphael Studer: „5 deutsche Herren, darunter ich – Der Schweizer Diplomat Paul Ritter als Beispiel für die Symbiose zwischen (Deutsch-)Schweizern und Deutschen in Japan vor dem 1. Weltkrieg“
Vor dem Hintergrund eines wachsenden geschichtswissenschaftlichen Interesses an der Beteiligung der Schweiz an Kolonialismus und Imperialismus („Kolonialismus ohne Kolonien“) stellt sich auch die Frage nach der Position der Schweizer in Meiji-Japan, das über Jahrzehnte sog. „ungleichen Verträgen“ unterworfen war. Anhand des Beispiels des Diplomaten Paul Ritters, von 1892 bis 1909 in Japan tätig, möchte ich aufzeigen, wie stark (Deutsch-)Schweizer und Deutsche bis 1914 dort verflochten waren, insbesondere im quasikolonialen Vertragshafen Yokohama. Als zahlenmäßig und ökonomisch bedeutsame Gruppe teilten sie gemeinsame Institutionen wie den „Club Germania“ und grenzten sich deutlich von anderen Nationen, z.B. Japanern und Angelsachsen, ab. Die prekäre Situation der betont bürgerlichen schweizerischen Diplomatie machte außerdem ein enges Zusammengehen mit den offiziellen deutschen Vertretungen unumgänglich.
Das Beispiel Paul Ritter macht ebenfalls deutlich, dass sich diese Symbiose keineswegs auf Japan beschränkte: Vielmehr war die wirtschaftliche, diplomatische und kulturelle Kooperation zwischen (Deutsch-)Schweizern und Deutschen vor dem Ersten Weltkrieg typisch für große Teile Asiens. Nicht zuletzt erlauben Ritters Selbstzeugnisse denn auch Rückschlüsse auf die zeitgenössische Germanophilie weiter Kreise der Deutschschweizer Eliten, die sich einer deutschen Kulturnation zugehörig fühlten.
Raphael Studer, Jahrgang 1987, Studium der Geschichte und Osteuropäischen Kulturen (Bachelor) und €pean Studies (Master) in Basel, Moskau und Frankfurt/Oder. Seit 2015 Arbeit an einer Dissertation über die Wahrnehmung Meiji-Japans durch den Schweizer Diplomaten Paul Ritter an den Universitäten Zürich und Osaka (MEXT-Stipendium).