Mittwoch, 7. November 2018, 18:30–20:00 Dr. Inga Streb: „Das Kopfkissenbuch (Makura no sōshi) der Hofdame Sei Shōnagon“

Vor tausend Jahren schenkt die japanische Kaiserin Teishi (Fujiwara no Sadako) ihrer Hofdame Sei Shōnagon ein dickes Bündel hochwertigen chinesischen Papiers, und die literarisch hochgebildete, kluge junge Frau nutzt es für eine Art Tagebuch. „Ihrem Pinsel folgend“ (zuihitsu) berichtet sie in loser Reihenfolge und in den unterschiedlichsten Textformaten vom Leben am Kaiserhof: Alltag und Feste, private Liebeleien und offizielle Begegnungen, Anekdoten und Biographisches lassen in Skizzen, Essays und Aufzählungen die „Goldene Zeit“ der Heian-Periode (794-1185) vor uns entstehen.

Sei Shōnagon hat das Kopfkissenbuch während ihres aktiven Hofdienstes von 994 bis 1000 begonnen und auch nach dem Tod der Kaiserin bis etwa 1012 weitergeführt und überarbeitet. Heute gilt sie als die größte Meisterin der japanischen Miszellenliteratur (zuihitsu bungaku) und steht zusammen mit Murasaki Shikibu, der Verfasserin der Geschichte des Prinzen Genji, unbestritten an der Spitze all der berühmten Autorinnen, die in der Heian-Zeit die einzigartige Hofdamenliteratur der „Japanischen Klassik“ schufen.

Das Kopfkissenbuch gehört zum Kanon der Schullektüre, und deshalb kennt in Japan jedes Kind dieses Meisterwerk, – zumindest aber die berühmten Anfangszeilen, die als unsterblicher Ohrwurm ihren festen Platz in der Werbung, als Buchtitel, als Manga und in den „Best-Of-Listen“ haben.

Haru wa akebono … “ „Im Frühling die Morgendämmerung …“

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Inga Streb, Studium der Japanologie (Schwerpunkt Japanische Sprache und Literatur), Sinologie und der Japanischen Volkskunde. Promotion 1976 an der Ruhr-Universität Bochum bei Prof. Dr. Bruno Lewin. Von 1973 bis 1996 mit Unterbrechungen Aufenthalt in Japan. Während dieser Zeit u.a. Deutsch-Unterricht an den Universitäten Yokohama Kokuritsu Daigaku (Yokohama National University) und Kokugakuin Daigaku (Kokugakuin University) in Tokyo. Gleichzeitig allgemeine und wissenschaftliche Publikationen zu japanspezifischen Themen (erste Buch-Veröffentlichung zusammen mit der Ko-Autorin Mitsue de LaTrobe Alltag in Japan, Düsseldorf und Wien 1984). In den beiden letzten Jahren Teilnahme am kōdō-Unterricht (Duftzeremonie) der Shinō-Schule in Tokyo.

In den Jahren zwischen den beiden Japan-Aufenthalten Bearbeitung von Alt-Japonica in der Bayerischen Staatsbibliothek München (BSB). Ab 1979 im Auftrag der BSB von Japan aus Ankauf von Alt-Japonica sowie Mitarbeit an verschiedenen Projekten der Staatsbibliothek wie beispielsweise die Katalogbearbeitung der japanischen Handschriften für die Schatzkammerausstellung „Liebe, Götter und Dämonen“ im Jahr 2008 mit Schwerpunkt Genji monogatari.

Arbeiten und Vorträge u.a. über die japanische Duftzeremonie (kōdō), die einheimischen Piraten (Murakami suigun) in der Setonaikai (Inlandsee) und Studien zum japanischen sogenannten „Blindenkalender“ (mekura goyomi), einer Sonderform des vormodernen Lunisolarkalenders im Nordosten Japans.