Vorträge
Mittwoch, 25. November 2015, 18:30–20:00 Franziska Steffen: „Aberglauben oder Religion? Inshi Tenri Renmon kyō – Die ,unmoralischen Sekten‘ Tenrikyō und Renmonkyō in der Meiji-Zeit“
Der Erfolg der Neuen Religionen (shinshūkyō) Japans in der Nachkriegszeit war so überwältigend, dass er 1967 von McFarland als „The Rushhour of the Gods“ gewürdigt wurde. Dabei stehen die wachsenden Mitgliederzahlen der Religionen scheinbar grundsätzlich im starken Gegensatz zur ihrer oft negativen öffentlichen Bewertung – und das nicht erst seit dem Giftgasanschlag der Ōmu Shinrikyō von 1995.
Das Ringen der Neuen Religionen um gesellschaftliche Akzeptanz geht bis auf die Meiji-Zeit zurück, als neue Gruppierungen wie die Tenrikyō oder Renmonkyō v.a. wegen der von ihnen propagierten Wunderheilung ins Kreuzfeuer von Gelehrten, Journalisten und Vertretern anderer Religionen gerieten. Vertreter der Moderne wie der Buddhist Inoue Enryō (1858-1919) oder der Shintō-Wissenschaftler Katō Genchi (1873-1965) kritisierten sie als inshi jakyō (unmoralische Sekten), der Psychologe Morita Shōma (1874-1938) diagnostizierte die göttliche Erleuchtung der Gründerpersonen als Geistesstörungen. Die vornehmliche Eigenschaft der Neuen Religionen in der Moderne schien meishin – Aberglauben – zu sein.
Doch was sagt der Befund „Aberglauben“ eigentlich aus? Über die Neuen Religionen oder auch über die „erleuchtete“ Meiji-Zeit? Folgt man evolutionstheoretischen Ideen und der These von der „Entzauberung der Welt“ von Max Weber (1864-1920), dann müsste abergläubische Praxis längst aus der rationalen, modernen Welt verschwunden sein. Die „Rushhour“ der Nachkriegszeit führt diese Idee jedoch ad absurdum. Auch wurden weder die Tenrikyō, noch die Renmonkyō offiziell verboten, im Gegenteil, die Tenrikyō wurde 1908 als selbstständige Shintō-Sekte anerkannt.
Im Vortrag soll daher die Geschichte der Neuen Religionen Tenrikyō und Renmonkyō in der Meiji-Zeit erzählt sowie gefragt werden, welche Rolle der Aberglaubensvorwurf dabei eigentlich spielte. Die Betrachtung der politischen Rahmenbedingungen, der Vorwürfe der Gelehrten und der Kritik der Medien soll die Verhandlung der Moderne anhand der Neuen Religionen näher beleuchten.
Franziska Steffen schloss den Doppelmaster-Studiengang „Interkulturelle Japanstudien/Japanische Sprache“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Keio Universität Tokyo mit Unterstützung der Robert Bosch Stiftung und der Studienstiftung des deutschen Volkes 2012 erfolgreich ab. Sie führt ihre Forschung zu den Neuen Religionen Japans in der Meiji-Zeit und dem Diskurs um Religion und Aberglauben seitdem als Doktorandin im Studiengang „Sprachen – Texte – Gesellschaft. Asien und Europa interpretieren“ an der MLU Halle-Wittenberg und zurzeit als Stipendiatin am Deutschen Institut für Japanstudien, Tokyo, fort.
Im Anschluss an den Vortrag findet die Eröffnung der Ausstellung von Hayama Minoru und Ootera Hiroshi bei einem kleinen Umtrunk im Foyer statt.