Samstag, 11. Mai 2024, 10:00–15:00 Susanne Schermann: „Auf der Schattenseite des Lebens: Spaziergang durch den Hinterhof Edos“

OAG Tokyo Reihe

Nach dem onmyōdō, der traditionellen Kosmologie Japans, ist der Nordosten eine negativ besetzte Himmelsrichtung, aus der alle möglichen Gefahren drohen. So versuchte man in der Edo-Zeit einerseits, den Nordosten der Stadt Edo besonders zu schützen, und siedelte andererseits auch negativ besetzte Gruppen bevorzugt in dieser Region an. Für einen Großteil der Edo-Zeit endete die Stadt im Osten und Norden am Sumidagawa, und der Norden des jetzigen Stadtbezirkes Taitō, auch Oku-Asakusa (inneres Asakusa) genannt, galt daher als unheilvoll. Schutz erhoffte man sich durch den bedeutenden Tempel Kan’ei-ji in Ueno und dem Sensō-ji in Asakusa. (In Kyoto erfüllte der Hiei-zan diese Funktion.)

Viele Unberührbare fanden hier Unterkunft. Das Vergnügungsviertel Yoshiwara wurde bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts dorthin übersiedelt. Im 19. Jahrhundert folgten die drei großen Kabuki-Theater gemeinsam mit kleineren Bühnen, die vom Stadtzentrum immer mehr an den Rand gedrängt worden waren, und auch die Schauspieler wurden gezwungen, dort zu leben. Die größte Hinrichtungsstätte in Edo, Kozukappara (neben Suzugamori bei Ōmori im Süden) befand sich hier, etwas nördlicher als Yoshiwara, am Rande der berüchtigten Ebene Asajigahara, deren Trostlosigkeit viele Legenden und in der Folge Literatur und Kunst inspirierte. Besonders berühmt ist die Legende der onibaba (Dämonen-Alte), die zahlreiche ahnungslose Reisende beherbergte und dann ermordete. Während der Edo-Zeit wurde diese Gegend nach und nach besiedelt, und das San’ya-Viertel ist immer noch der Wohnort für viele Tagelöhner und sozial sehr schwache Menschen. Seit einigen Jahren erfolgt hier eine Gentrifizierung durch günstige Übernachtungsmöglichkeiten für ausländische Reisende.
Im 20. Jahrhundert versuchte man, die Spuren dieser Stätten zu tilgen, indem man etwa Namen änderte oder Bahnlinien darüber baute, doch diese Löschung erfolgte interessanterweise nicht sehr gründlich. So gibt es zwar kein Stadtviertel Yoshiwara mehr, doch einen Yoshiwara-Tempel, einen Yoshiwara-Park und auch eine Busstation Yoshiwara-Tor (Yoshiwara ōmon), genauso wie die Busstation Tränenbrücke (Namida-bashi) kurz vor der Hinrichtungsstätte.

Yoshiwara Flyer 150
Ausschnitt aus dem Flyer zur Yoshiwara-Ausstellung

Wir besuchen zuerst die Yoshiwara-Ausstellung im Museum der Kunsthochschule Tokyo Geijutsu Daigaku beim Ueno-Park, wo man nachher außer dem Katalog und den üblichen Erinnerungsartikeln auch süße Umeboshi-Bonbons kaufen kann, die in Yoshiwara beliebt waren. Wir spazieren dann ca. 2,5 Kilometer bis nach Yoshiwara.

Yoshiwara Nakacho
Links im Bild an der Säule: Hinweis auf das Yoshiwara-Tor

Unterwegs können wir uns mit Senbei (Reiskräcker) von Hanami Senbei stärken, die noch im Laden selbst gemacht werden. Wir besichtigen den Ōtori Schrein und den Yoshiwara Schrein, gehen über die Hauptstraße Nakanochō bis zum Platz des großen Eingangstores und der Weide des Zurückblickens. Mittagessen, zum Beispiel eine Schale Tendon (Donburi mit Tempura), im traditionsreichen Lokal Dote no Iseya. Danach geht es am San’ya-Viertel vorbei zum Tempel Jōkan-ji, auf dessen Friedhof viele Frauen aus Yoshiwara in einer hoffentlich besseren Welt ruhen, und am Ende über die Tränenbrücke zur Hinrichtungsstätte Kozukappara, wo wir den Enthauptungs-Jizō und das Grab des bedeutenden Denkers Yoshida Shōin, der hier hingerichtet wurde, besichtigen. Die Tour endet am daneben gelegenen Bahnhof Minami-Senju.

Leitung: Prof. Dr. Susanne Schermann

Anmerkungen:
Die Yoshiwara-Ausstellung erfolgt in zwei Teilen:
Teil I: 26. März bis 21. April, Teil II: 23. April bis 19. Mai.
Am 22. April ist sie geschlossen, weil die Ausstellungsstücke komplett ausgewechselt werden. Wir werden also nur den zweiten Teil sehen, der ausgezeichnete Katalog (3.500 ¥) listet die komplette Ausstellung auf.

Wer nicht gut zu Fuß ist, kann die Strecke von Ueno bis Yoshiwara und von Yoshiwara zum Jōkanji auch mit dem Bus fahren, jeweils 210 ¥.

Wer sich in das Thema „Yoshiwara“ einlesen möchte, dem sei die OAG-Publikation Japans Kurtisanen. Eine Kulturgeschichte der japanischen Meisterinnen der Unterhaltungskunst und Erotik aus zwölf Jahrhunderten von Michael Stein empfohlen.

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Das Buch kann im OAG-Büro eingesehen und käuflich erworben werden. Mitglieder können das Buch in der OAG-Bibliothek ausleihen.