Mittwoch, 16. Januar 2019, 18:30–20:00 Nora Gilgen: „Willkommen oder nur geduldet? – Zur Integration von Menschen mit Behinderung in den japanischen Arbeitsmarkt“

Eine „für alle zugängliche Gesellschaft“ (dare demo kurashiyasui shakai) wird von offiziellen Stellen gerne als Ziel genannt, nach dem Japan als Gastgeberland der Olympischen und Paralympischen Spiele 2020 streben sollte. Der Ruf nach mehr Integration von benachteiligten Bevölkerungsgruppen ist vor dem Hintergrund der zunehmenden Alterung der japanischen Gesellschaft aber auch ganz praktisch motiviert: Möglichst viele Bürger sollen als Arbeitskräfte aktiviert werden.

Menschen mit einer Behinderung sind in Japan schon seit gut 40 Jahren Ziel von staatlichen Berufsfördermaßnahmen. Für Privatunternehmen gilt gegenwärtig eine obligatorische Beschäftigungsquote von 2,2 Prozent. Verglichen mit der Schwerbehindertenquote von 5 Prozent in Deutschland beispielsweise scheinen die Anforderungen an japanische Unternehmer also nicht außerordentlich hoch zu sein. Trotzdem tut sich mancher Arbeitgeber mit der praktischen Umsetzung der Beschäftigungspflicht schwer, während viele Menschen mit einer Behinderung Mühe damit bekunden, eine Stelle zu finden.
Das Referat beruht auf Interviews, in welchen 2017/18 unter anderem Personalverantwortliche und behinderte Arbeitnehmer in verschiedenen japanischen Großunternehmen befragt wurden.

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Mitarbeiter mit Behinderung faltet Handtücher in einem Krankenhaus.

Einerseits erörtern wir, vor welche Herausforderungen sich japanische Arbeitgeber mit dem Beschäftigungsobligatorium gestellt sehen. Andererseits betrachten wir als konkrete Beispiele auch einige Unternehmen, die einen innovativen – wenn aber auch nicht immer unumstrittenen – Umgang mit den gesetzlichen Vorgaben gefunden haben und behinderte Personen in ihrer Belegschaft aktiv willkommen heißen.
Weiter wenden wir uns den Arbeitnehmern mit einer Behinderung zu und erfahren, welche Hürden sie auf dem Weg in den Arbeitsmarkt angetroffen und wie sie diese überwunden haben. Es zeigt sich, dass Beziehungen einerseits und strategische Überlegungen andererseits sowohl für die Arbeitgeber als auch für Arbeitssuchende mit einer Behinderung zentrale Erfolgsfaktoren sind. Dies bedeutet, dass behinderte Menschen, die weder über die „richtigen“ Beziehungen noch Informationen verfügen, trotz staatlicher Fördermaßnahmen bei der Arbeitssuche stark benachteiligt bleiben.

Nora Gilgen ist Assistentin am Lehrstuhl für sozialwissenschaftliche Japanologie am Asien-Orient-Institut der Universität Zürich. Ihr Hauptinteresse gilt der sozialen Stratifikation in Japan, insbesondere im Arbeitsmarkt und im Bildungssystem. Zurzeit arbeitet Nora Gilgen an ihrer Doktorarbeit zur Integration von Menschen mit einer Behinderung in japanische Privatunternehmen. Von Februar bis August 2017 war sie Stipendiatin der Japan Foundation.

Im Anschluss findet die Eröffnung der Ausstellung von Renato A. Pirotta bei einem kleinen Umtrunk statt.