Mittwoch, 27. Februar 2019, 18:30–20:00 Laura Marie Blecken: „Der japanische Begriff ‚Selbstverantwortung‘ (jikosekinin) – Freie Entscheidung oder auferlegte Pflicht?“

Als im Januar 2015 in Syrien zwei japanische Geiseln vom „Islamischen Staat“ ermordet wurden, tobte im japanischsprachigen Internet eine Kontroverse um die „Selbstverantwortung“ (jikosekinin) der beiden Opfer. Die vehemente Kritik an den Geiseln stieß international auf Unverständnis, doch der „Selbstverantwortungsdiskurs“ (jikosekinin-ron) ist in Japan allgegenwärtig: Geringverdiener werden ebenso mit ihrer „Selbstverantwortung“ konfrontiert, wie Angestellte, die an Überarbeitung sterben; alleinerziehende Elternteile ebenso wie Kinder, die in der Schule versagen.

Doch was genau umfasst der japanische Begriff jikosekinin? In einer diachronen Untersuchung verfolgt der Vortrag zunächst die Ursprünge von jikosekinin zu seinen etymologischen Wurzeln zurück und zeichnet die Etablierung des Begriffs im 20. Jahrhundert nach, bis hin zur Entfaltung der enormen Schlagkraft in den 1990er Jahren als Parole neoliberaler Reformen in Japan.

Jikosekinin
„Selbstverantwortung“

Um aktuelle Diskurse um jikosekinin in den Jahren 2015-2017 diskutieren zu können, stellt der Vortrag im Anschluss eine Querschnittsanalyse der Begriffsverwendungen in einem Big-Data-Korpus japanischsprachiger Blog-Artikel vor. Hierbei werden Einblicke in das Analyse-Tool „TopicExplorer“ gewährt, das momentan an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg interdisziplinär entwickelt wird. Diese Analyse macht es möglich, die alltagssprachliche Omnipräsenz von jikosekinin präzise in verschiedene Themenfelder und Verwendungen aufzuschlüsseln, die sich von der Sozial- über die Verteidigungspolitik bis hin zu privaten Lebensbereichen erstrecken, und den Begriff abschließend im Spannungsfeld zwischen tradierten Moralvorstellungen und den Auswirkungen eines globalen Neoliberalismus zu diskutieren.

Laura Marie Blecken promoviert seit September 2015 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und hat ihre Verteidigung im Januar 2019 mit Auszeichnung bestanden. Zuvor hat sie als Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Robert-Bosch-Stiftung den Doppelmaster „Interkulturelle Japanstudien/Japanische Sprache“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Keio-Universität in Tokyo absolviert. Seit dem Masterabschluss 2015 arbeitet sie als Presse- und Marketingbeauftragte für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) an der Außenstelle Tokyo.

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