Mittwoch, 20. Februar 2019, 18:30–20:00 Prof. Dr. Hans van Ess: „Die VR China und ihr Umgang mit der konfuzianischen Tradition“

Nach Gründung der Volksrepublik China verließen zahlreiche konfuzianische Gelehrte und Wissenschaftler Festland-China und zogen nach Hongkong oder Taiwan, wo sie zu wichtigen Gründerfiguren der dortigen Geisteswissenschaften wurden. In der VR China selbst verblieben einige bedeutende Persönlichkeiten, die bis in die 60er Jahre hinein ebenfalls an den neuorganisierten Universitäten wirkten. Mit der Kulturrevolution kamen fast alle diese Persönlichkeiten in Schwierigkeiten. Konfuzius selbst, den Mao Zedong persönlich in früheren Werken noch an mehreren Stellen zustimmend zitiert hatte, wurde als Sklavenhalterphilosoph beschimpft, der Verteidigungsminister Lin Biao in einer Kampagne als zweiter Konfuzius gebrandmarkt. Wenig später kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

Konfuzius
Bei den Feierlichkeiten aus Anlass des Geburtstags von Konfuzius (2014)

Mit dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik Deng Xiaopings änderte sich auch die Einstellung zur konfuzianischen Tradition allmählich wieder. Mitte der 80er Jahre wurden erstmals wieder Feierlichkeiten aus Anlass des Geburtstags von Konfuzius abgehalten, zu denen ausländische Staatsgäste eingeladen wurden und an denen hohe Kader der KP China teilnahmen. Seit der Amtszeit von Jiang Zemin als Parteichef hat die Rehabilitierung der konfuzianischen Tradition stark zugenommen, sein Nachfolger Hu Jintao stellte seine Amtszeit sogar unter das konfuzianisch klingende Motto von der harmonischen Gesellschaft. Auch Xi Jinping hat die kommunistische Unterstützung für konfuzianische Lehren weiter vorangetrieben. Dabei bleibt allerdings der Sozialismus nach wie vor primäre Staatsdoktrin.

In meinem Vortrag möchte ich die Entwicklungen nachzeichnen und die Frage beantworten, wie sich diese beiden auf den ersten Blick gegensätzlichen Ideologien vereinbaren lassen und was die KP mit ihrem Vorgehen bezweckt.

Hans van Ess, aufgewachsen in Tübingen, war nach einem Studium der Sinologie, Turkologie und Philosophie an der Universität Hamburg als Länderreferent beim Ostasiatischen Verein e.V. Hamburg tätig, bevor er auf eine Assistenz ans Sinologische Seminar der Universität Heidelberg wechselte. Seit 1998 ist er Lehrstuhlinhaber für Sinologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Derzeit ist er Vizepräsident für Internationales der LMU und Präsident der Max-Weber-Stiftung, Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland.

20190220 OAG_van Ess_Konfuzianismus in der VR China