Mittwoch, 1. Oktober 2014, 18:30–20:00 Dr. Martin Schulz: „China, Japan und Südostasien: Die wirtschaftspolitischen und geostrategischen Verschiebungen in Ostasien“

China hat nach dreißig Jahren extremen internen Wachstums begonnen, seinen „Vorhof“ in Asien zu organisieren. Die großen Unternehmen und Exporteure müssen langfristig ihre Rohstoffversorgung sicherstellen und brauchen neue Märkte. Das Resultat ist aus chinesischer Sicht eine Sicherheitspolitik, die das gesamte potentiell instabile südchinesische Meer umfasst, aber von den Nachbarn als hegemoniale Expansion wahrgenommen wird.

Japan hat nach zwanzig Jahren umfassender Unternehmensrestrukturierungen und Deflation wieder damit begonnen, verstärkt im Ausland zu investieren. Da aus japanischer Sicht die großen Märkte in den USA, in Europa und China aber nicht mehr so stark wie früher wachsen werden, drängt auch Japan nach Südostasien. Das Resultat ist eine schnell wachsende Präsenz in den Märkten von Vietnam, Indonesien und den Philippinen, in denen es zuvor vor allem japanische Entwicklungshilfe und verlängerte Werkbänke gab.

Südostasien kämpft gut ein Jahrzehnt nach der Überwindung der Asienkrise weiterhin mit großen „governance“ Problemen im politischen und geschäftlichen Bereich und beobachtet die Verschiebung der Interessenlage in China und Japan mit verstärkter Sorge. Denn statt der offenen Exportmärkte der großen Nachbarn sehen sie sich plötzlich mit zwei Wettbewerbern konfrontiert, die immer stärker in ihre Märkte und Hoheitsgebiete eindringen könnten. Das Resultat sind wachsender innenpolitischer Druck auf die Regierungen und Initiativen zur regionalen wirtschaftlichen Inte-gration, die nächstes Jahr in einer „ASEAN Economic Community“ kulminieren sollen – aber noch weit von einer eigenständigen Rolle entfernt bleiben.

Leider ist ein Szenario, in dem die Spannungen und damit die wirtschaftlichen Kosten in Ostasien weiter steigen, einfacher vorstellbar als eine Zukunft zunehmender wirtschaftlicher Integration. Denn nicht nur Asiens Exporteure liefern sich inzwischen einen zunehmenden Verdrängungswettbewerb, der nur durch langfristig starkes internes Wachstum, politische Stabilität und wachsende internationale Kooperation gelöst werden könnte. Am erfolgversprechendsten wäre hierfür ein regionaler und systemischer Wettbewerb mit China, wie ihn einst Europa gegenüber den stark wachsenden und zunehmend als hegemonial empfundenen USA gesucht hatte. Dies würde jedoch eine ähnliche starke „Achse“ zwischen den „Mittelmächten“ Japan und Korea erfordern, wie sie während der Integration Europas zwischen Frankreich und Deutschland bestand – eine zur Zeit unwahrscheinliche Vision.

In dem Seminar sollen nach der Skizzierung von wichtigen wirtschaftlichen und politischen Trends in der Region wahrscheinlichere Zukunftsszenarien in Ostasien diskutiert werden.

Dr. Martin Schulz ist seit dem Jahr 2000 Volkswirt am Fujitsu Research Institute (FRI) in Tokyo. An dem privaten „Think Tank“ der japanischen Industrie ist er für Globalisierung, internationale Unternehmensstrategien und wirtschaftspolitische Analysen zuständig. Zuvor war er als Professor und Gastwissenschaftler an der Bank of Japan, der University of Tokyo und einer Reihe von Universitäten in Japan und Europa tätig.