Mittwoch, 17. Juni 2015, 18:30–20:00 Charles de Wolf: „Das Konjaku-monogatari-shū (今昔物語集) vom Standpunkt der Vergleichenden Literatur: Genre und Stil als Faktoren für die Übersetzung“

Das Konjaku-monogatari-shū (今昔物語集, „Geschichten von Jetzt und Einst“) ist die längste und bekannteste Setsuwa-Sammlung. (Setsuwa 説話, ursprünglich in Erläuterungen von buddhistischen Lehren benutzt, dann im japanischen Mittelalter als eine allgemeine Bezeichnung für mythologische, sagenhafte und andere alte Erzählungen.)

Das von unbekannten Autoren verfasste Werk entstand in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts und besteht aus über 1.000 Geschichten, von denen fast ein Drittel von Indien und China handelt. Dennoch haben die meisten Japan als Handlungsort. Alle fangen mit 今昔 an, das sich sinojapanisch „konjaku„, japanisch aber „ima wa mukashi“ lesen lässt, was etwa der Formel „Es war einmal…“ entspricht.

(Bild von der Ausstellung in der Bibliothek der Kyoto Universität, 11.-17.11.1996)

(Hier in einer Version aus dem Jahr 1734)
Die Originalhandschrift mit gedruckter Lesung finden Sie unter diesem Link der Bibliothek der Kyoto Universität.)

Interessanterweise lehnte der renommierte Ethnologe Yanagita Kunio (1875-1962) den sino-japanischen Neologismus minwa (民話) — mit Sicherheit eine Lehnübersetzung von Volkssage oder folktale – ab und benutzte stattdessen das ältere Kompositum mukashi-banashi (昔話), ‚alte Geschichte‘.
In diesem Vortrag werde ich die Sprache wie auch den Inhalt des Konjaku-monogatari beschreiben und verschiedene Übersetzungen ins Englische mit den deutschen Übersetzungen stilistisch vergleichen, indem ich die Frage stelle: Was ist die (oder eine) angemessene sprachliche Form für altjapanische Geschichten in europäischer Tracht?

Dr. Charles De Wolf
(須田狼庵), Professor Emeritus der Keiō-Universität, ist ursprünglich Linguist, beschäftigt sich aber in den letzten Jahrzehnten mit der Übersetzung der klassischen und modernen japanischen Literatur. Er ist japanischer Staatsbürger.