Mittwoch, 13. März 2024, 18:30–20:00 Maja Linnemann: „Lebendige Traditionen – Bestattungspraktiken auf dem Land in China“

Der Tod ihres Schwiegervaters im Jahr 2016 führte dazu, dass die Sinologin Maja Linnemann begann, sich intensiv damit zu beschäftigen, wie im China des 21. Jahrhunderts mit Sterben und Tod umgegangen wird. Dabei geht es ihr vor allem um die Fragen, wie man sich von den Verstorbenen verabschiedet, wie die Bestattungsrituale aussehen und was konkret mit den sterblichen Überresten geschieht. Zwischen 2009 und 2019 konnte sie vor allem in Nordchina an mehreren Trauerfeiern und Beerdigungen auf dem Land und in Großstädten teilnehmen und hat viele Friedhöfe besucht. 2020 erschien ihr Buch Letzte Dinge. Tod und Bestattungskultur in China im Drachenhaus Verlag.

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Traditionelle Bestattungspraktiken und -rituale konnten, wenn die entsprechenden finanziellen Mittel vorhanden waren, in der chinesischen Geschichte sehr aufwändige Veranstaltungen sein, die auch Theateraufführungen umfassten. Während alte Gräber umfangreiche Grabbeigaben enthielten, die den Toten im Jenseits dienen sollten und nun Museen füllen und Einblick in die materielle Kultur vergangener Jahrtausende geben, haben heute Nachbildungen aus Papier, die verbrannt werden, eine ähnliche Funktion.

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Nach der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 mit ihrer atheistisch ausgerichteten Ideologie standen traditionelle Beerdigungen zunehmend in der Kritik. Buddhistische Mönche und Fengshui-Spezialisten, die eng mit den Ritualen um den Tod verbunden waren, konnten nicht mehr praktizieren. Neben dem Kampf gegen abergläubische Praktiken war aber auch Sparsamkeit ein Argument gegen traditionelle Beerdigungen, da Gräber im ganzen Land viel Fläche einnahmen, die man der nützlicheren Funktion als Ackerland zuführen wollte und für die Erweiterungen der Städte brauchte.

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Der Kampf gegen „Aberglauben“ und Ressourcenverschwendung sind auch heute noch Teil der offiziellen Bestattungsreform, die einen ökologischen und zivilisierten Umgangs mit dem Tod propagiert. Umso überraschender ist es, dass viele traditionelle Bräuche sich zumindest in ländlichen Gebieten trotzdem gehalten haben und nach dem Ende der Kulturrevolution 1976 mit überraschender Vitalität, einschließlich des Unterhaltungsprogramms, wieder aufgelebt sind.
In ihrem Vortrag gibt Maja Linnemann anhand von Fotos und Filmmaterial einen Einblick in Bestattungsrituale in zwei Dörfern in den Provinzen Shanxi und Hubei im 21. Jahrhundert.

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Nach einer Rucksackreise durch Asien im Jahr 1989 studierte Maja Linnemann Wirtschaftssinologie an der Hochschule Bremen. 1994 lebte sie ein Jahr in Chengdu, von 1999 bis 2013 in Peking. Von 2008 bis 2012 war sie dort Chefredakteurin des zweisprachigen Internetportals des Goethe-Instituts und der Robert-Bosch-Stiftung „Deutsch-Chinesisches Kulturnetz“. Seit 2013 lebt sie wieder in Bremen, wo sie von 2013 bis 2018 als Geschäftsführerin das Konfuzius-Institut Bremen leitete. Neben dieser Tätigkeit absolvierte sie ein Masterstudium Sinologie an der Universität Hamburg. Seit Anfang 2019 ist sie freiberuflich als Autorin und Übersetzerin aus dem Chinesischen tätig. Sie betreibt außerdem den Blog Friedhofswelten über Orte der letzten Ruhe und alles, was damit zu tun hat.

WICHTIGER HINWEIS:
Der Vortrag findet in Präsenz in der OAG-Bibliothek statt.
Nur angemeldete Mitglieder erhalten einen Zoom-Link, um den Vortrag online verfolgen zu können.