Mittwoch, 13. Juni 2018, 18:30–20:00 Dr. Wolfgang Herbert: „Aus Okinawa nach Olympia: Geschichte und Zukunft des Karate-dō“

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Der Referent im Dōjō von Hokama Tetsuhiro (Gōjū-ryū) in Naha auf Okinawa. Dort ist im Karate-Unterricht der Einsatz von Waffen selbstverständlich und integraler Bestandteil. Das ist auf Hondo weitgehend verlorengegangen.

Beginnend mit Bodhidharma, dem legendären Gründer (?) des Shaolin-Tempels, wird der Referent die Reise der heute als Karate bekannten Selbstverteidigungsmethode mit bloßen Händen und Füßen von China nach Okinawa und Japan und in die Welt nachskizzieren. Die großen Transformationsphasen, der sie dabei unterworfen war, lassen sich in Stichworten wie folgt charakterisieren:

  • Auf dem Weg von China nach Okinawa (16.-19 Jh.): Amalgamierung mit lokalen Kampfkunstmethoden, hermetische, direkte Weitergabe von Lehrer zu Schüler, reger (personeller) Austausch zwischen Festland und Ryūkyū, „Bibel des Karate“ = Bubishi 武備詩
  • Von der Geheimtradition zur schulischen Leibeserziehung (Anfang 20 Jh.): Simplifizierung, Eliminierung „gefährlicher“ Techniken, Gruppentraining
  • Präsentationen auf der Hauptinsel (Hondō) in den 1920er Jahren; 1930er Jahre: Suche nach Akzeptanz durch das Dainippon Butokukai (Großjapanischer Verband zur Förderung militärischer Tugenden): „Japanisierung“ und Militarisierung, Aufsplitterung in „Stilrichtungen“ (ryūha), (Neue) Nomenklatur für Techniken und Kata, Karate = von 唐手 („China-Hand“) zu 空手 („leere Hand“)
  • Nach dem Zweiten Weltkrieg: Systematisierung nach sportwissenschaftlichen Kriterien, 3-K-Training (3 K = Kihon, Kata, Kumite), Wettkampf, Internationalisierung: weltweite Verbreitung, „Spiritualisierung“ (Import erfundener Traditionen: Bushidō, Zen etc.)
  • Gegenwärtig: „Versportung“, neues Regelwerk, Kandidatur als Olympische Disziplin Tokyo 2020, neue Trainingsformen (Spitzensport): „Athletisierung“, Einflüsse aus der MMA-Szene (MMA = Mixed Martial Arts), vermehrte Kommerzialisierung, Aufsplitterung in: Sport-Karate, Budō-Karate, anwendungsorientiertes Karate („practical Karate“) beruhend auf historischer Forschung „westlicher“ Karateka: Zurück zu den Wurzeln!

Im Referat werden einige maßgebende Persönlichkeiten der jeweiligen Epoche vorgestellt und Hinweise auf die Änderung der Übungsmethoden in den respektiven Etappen gegeben. Der Vortragende setzt eine Akzentuierung auf das von ihm praktizierte und weltweit am meisten verbreitete Shōtōkan-Karate.

Wolfgang Herbert, Promotion in Japanologie (Nebenfach: Religionswissenschaften) an der Universität Wien 1993, Professor für Vergleichende Kulturwissenschaften an der Universität Tokushima. 5. Dan Shōtōkan-Karate. Publikationen u.a.: Kanazawa, Hirokazu: Kanazawa. Im Zeichen des Tigers. Autobiographie eines Karate-Pioniers. Mit einem Interview mit Hirokazu Kanazawa. Aus dem Japanischen übersetzt von Wolfgang Herbert. Distelhausen: schlatt-books 2015.

Prof. Dr. Wolfgang Herbert
Prof. Dr. Wolfgang Herbert