Mittwoch, 21. Juni 2023, 18:30–20:00 Andreas Neuenkirchen: „Hello Kitty – die Königin von Kawaii

Hello Kitty hat es in ihren fast 50 Jahren geschafft, von der Illustration eines japanischen Kinderportemonnaies zu einer internationalen Stilikone heranzuwachsen, die über 7 Milliarden € pro Jahr umsetzt. Viele fragen sich fassungslos: Wie konnte das passieren?

Kitty White (so ihr bürgerlicher Name) fasziniert durch gemischte Signale und endlosen Interpretationsspielraum: Sie ist gleichermaßen Hassobjekt orthodoxer Feministinnen wie ironische Ikone spaßbereiter Riot Grrrls. Sie ziert billigen Plastik-Plunder im Kinderzimmer genauso wie edle Tropfen im Weinkeller. Bei der Vermarktung folgt der Rechteinhaber Sanrio einem spektakulär konterintuitiven Konzept. Wo Konzerne wie Disney die Einhaltung ihrer Styleguides kontrollieren wie wichtige Staatsangelegenheiten und von den Peanuts seit dem Tod ihres Schöpfers nicht mal neue Zeichnungen angefertigt wurden dürfen, lautet das Hello-Kitty-Prinzip: totale Offenheit. Jede Kultur, jede Alters- und Zielgruppe bekommt ihr eigenes Kätzchen. In Frankreich zum Beispiel funktionierte Kitty erst, als sie Wimpern bekam. Alles ist möglich, und doch bleibt Hello Kitty unverwechselbar, über Jahrzehnte hinweg. Wer als Baby schon im Kitty-Strampelanzug strampelte, trinkt als Erwachsener den Kitty-Qualitätswein. Bei der Identifikationsstiftung fährt die Figur ein ähnlich offenes Erfolgskonzept wie bei der Vermarktung: Der Verzicht auf klare Gesichtszüge lädt jeden ein, die eigenen Gefühle auf sein Kätzchen zu projizieren.

Yoshikitty

Der Vortrag gibt Einblicke in die Entstehung des Phänomens und erklärt seine Faszination für verschiedene Kulturkreise. Wurde Kitty in Japan als vorgeblich britische Figur mit internationalem Flair erfunden, interessiert sich der Westen vor allem für das typisch Japanische an ihr, die Verkörperung der Kawaii-Kultur. Es wird aufgezeigt, wo sich der Kitty-Look oberflächlich mit dem traditionellen Verständnis von Feminismus und Machismo reibt, obwohl die Philosophie dahinter freiheitlicher und offener nicht sein könnte. Auch internationale Skandale um die Figur, von Massenhysterien in Taiwan bis zu Mordfällen in Hongkong, sollen nicht verschwiegen werden. Außerdem wird der größere Zusammenhang der Kawaii-Kultur beleuchtet, von der Entstehung des Begriffes und seines Bedeutungswandels bis zu seiner prominenten Positionierung in Japans politisch-wirtschaftlicher Soft-Power-Strategie.

Kitty_Neuenkirchen

Andreas Neuenkirchen lebt seit 2016 als freier Autor in Tokyo. Er ist der Verfasser mehrerer Bücher mit Japan-Bezug, darunter Gebrauchsanweisung für Tokio und Japan (Piper) und, zuletzt, Codename: Sempo (Europa Verlag), die erste deutschsprachige Biografie Chiune Sugiharas. In der Vergangenheit beschäftigte er sich vorwiegend mit japanischer Popkultur, dort vor allem mit deren Kawaii-Aspekt, woraus u. a. die Bücher Hello Kitty: Ein Phänomen erobert die Welt (Metrolit/Aufbau) und Kawaii Mania (Conbook) resultierten. Außerdem arbeitete er an über 20 internationalen TV-Produktionen als Berater, Redakteur und Ghostwriter mit.

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