Mittwoch, 24. Mai 2023, 18:30–20:00 Philippe Bürgin: „Hiroshima, mon amour, eine Versöhnung mit dem Undarstellbaren“

Wenige Wortwechsel sind so eindrücklich wie der zwischen Emmanuelle Riva und Okada Eiji zu Beginn von Hiroshima, mon amour. Die französisch-japanische Koproduktion aus der Feder von Margerite Duras (Drehbuch) und Alain Resnais (Regie) darf zurecht als eine der eindringlichsten Verarbeitungen einer der existentiellen Urkatastrophen des 20. Jahrhunderts gelten. In einer sublimen Melange aus filmischen, künstlerischen und literarischen Stilmitteln findet in diesem Film eine Annäherung an das statt, was man eigentlich nur mit negativen Umschreibungen wie undarstellbar oder unaussprechlich belegen kann.

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Ausschnitt aus der Eröffnungsmontage, Blick über einen Flussarm des Ōtagawa, ein Leitmotiv des Films

Hirohima, mon amour ist ein Film von Extremen, von Überkreuzungen und Durchkreuzungen, von dokumentarischer Realität und poetischer Fiktion, vom schmerzhaften Drang nach Erinnerung und dem trügerischen Trost des Vergessens. Doch selbst in all diesen Spannungen scheint ungetrübt der Versuch durch, mit dem Unabsehbaren und Undarstellbaren eine Versöhnung einzugehen. Allerdings macht der Film bereits zu Anfang keinen Hehl daraus, dass man in dieser Sache keine hollywoodhafte Auflösung aller Konflikte in Wohlgefallen erwarten kann.

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Rätselhaftes Titelbild von Hiroshima, mon amour (1959)

Schon beim Filmmaterial möchte man kaum seinen Augen trauen – ein Gefühl, das sich heute noch umso gewaltsamer einstellen kann, wenn man durch Hiroshima schlendert: Nach all der Verwüstung erstreckt sich entlang der sieben Mündungsarme des Ōtagawa-Delta wieder nichts anderes als eine florierende Stadt, in der Menschen leben, zur Schule gehen, arbeiten, Familien gründen, ihren Lebensabend genießen – fast so wie vor der Explosion. So kann es zumindest leicht fallen zu vergessen – was für ein Trost nur das Vergessen sein kann, dürfte oder könnte man es sich herausnehmen, nichts gesehen zu haben. Welche Schritte jedoch durch das filmische Medium unternommen werden können, um gerade in der Erinnerung Trost, gar Versöhnung, zu finden, dies aufzuzeigen ist Absicht dieses Vortrags.

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Das Leinwandpaar des Films gespielt von Emmanuelle Riva (Mitte rechts) und Okada Eiji (Mitte links)

Philippe Bürgin studierte Philosophie und Anglistik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie anschließend praxisorientierte Kulturphilsophie an den Universitäten Stuttgart und Paris 8 Vincennes-Saint-Denis. Seit 2022 ist er Doktorand im Bereich Ästhetik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Derzeit ist er Stipendiat beim DIJ Tokyo, wo er seine Forschungen zur kantischen Ästhetik des Erhabenen und zu Erfahrungen der Liminalität in japanischen Kunstformen vertieft.

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