Mittwoch, 6. November 2019, 18:30–20:00 Josef Bohaczek: „In Tokyo möchte ich nicht mal begraben sein! Auf den Spuren von Tanizaki Jun’ichiro nach Kyoto“

Nichts ist, wie es war, nichts bleibt, wie es ist. Daran ist nicht zu rütteln. Diesem unabänderlichen Wandel unterliegen auch Städte, selten zur Freude ihrer Bewohner.

Einer, der sehr heftig an dem zugegeben sehr radikalen Wandelgeschehen litt, das seine Heimatstadt Tokyo erfasst hatte, war der Dichter Tanizaki Jun’ichiro, geboren am 24. Juli 1886 und aufgewachsen in Nihonbashi, gerade da, wo diese Stadt am unverfälschtesten sie selbst ist. Seine Beziehung zu ihr äußert sich in der Feststellung: „Ich bin in Honjō Warigesui geboren, daher ganz ohne Zweifel ein waschechtes ‚Edokko‘.“ Er empfindet das als Ehre und sagt es mit Stolz. Ob die Liebe einem Menschen gilt oder einer Stadt – ein Übermaß an Enttäuschungen, und aus Liebe wird Abneigung, vielleicht sogar Hass. Und in der Tat: „… das Tokyo von heute finde ich uninteressant. Den Charme und das Raffinement, früher charakteristisch für Tokyo, bietet heute Kyoto, dem ich mich umgekehrt nostalgisch verbunden fühle.“
Sehr hart geht er mit den Verursachern seines Ungemachs ins Gericht:

„Wer hat denn Tokyo zu einer derart miserablen, chaotischen Stadt gemacht? Waren die Leute, die das angerichtet haben, nicht allesamt Bauerntölpel, Emporkömmlinge aus der Ackerfurche, die sich zwar das Etikette „Politiker“ umhängten, aber von den Qualitäten Tokyos, wie es einmal war, nicht den Schimmer einer Ahnung hatten? War das nicht genau jene Bagage, die aus diesen einst wunderschönen Flüssen bei Nihonbashi, Yoroibashi, Tsukijibashi, Yanagibashi, schwarze Kloaken werden ließ? Ist das nicht das Werk jenes Klüngels, dem völlig unbekannt ist, dass es mal eine Zeit gab, in der im Sumidagawa Weißfische schwammen? Wenn ich tot bin, dann kümmert es mich nicht mehr, wo ich begraben werde, aber an einem Ort, mit dem mich nichts mehr verbindet, der mir so widerwärtig geworden ist wie das gegenwärtige Tokyo, da möchte ich nicht einmal begraben sein.“
Ein Mann, ein Wort!

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Wohnhaus in Tokyo, Mitte Shōwa; © Bohaczek
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Die Glocke von Ueno (oberhalb vom Shinobazu-no-ike; © Bohaczek)
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eigenhändige Kalligraphie von Tanizaki Jun’ichiro (Tanka, 1963)

Im Rahmen dieses Vortrags (der sich als Vorbereitung einer Exkursion dorthin versteht) wird dem Weg nach Kyoto und der Suche nach einem geeigneten Grabplatz nachgegangen, den der Protagonist aus Tanizakis letztem Werk auf sich genommen hat, um seiner Heimatstadt nicht am Ende für immer anheimzufallen.

Josef Bohaczek, kam nach einem Studium an der Univ. Wien (Biologie, Philosophie; Pädagogik, Japanologie) als Stipendiat nach Japan und studierte an der Univ. für Fremdsprachen Osaka (Japanisch, japanische Geschichte und Landeskunde) und an der Univ. Tokyo (Daigakuin der Fakultät für Erziehungswissenschaften). Lebt seit April 1979 in Japan. Übersetzer mehrerer Werke von Tanizaki und anderer jap. Autoren.

Josef Bohazcek
Josef Bohazcek