Mittwoch, 6. Februar 2008, 19:30–21:00 Vortrag Verlautbarung oder Investigation – Wie unabhängig sind die japanischen Tageszeitungen?

Der japanische Tageszeitungsmarkt zeichnet sich durch eine äußerst homogene Berichterstattung, die weitgehende Abwesenheit publizistischen Wettbewerbs und eine ausgeprägte Zögerlichkeit bei der Kritik regierungsamtlichen Handelns aus. Die Aufmacher der wichtigsten Tageszeitungen tragen nicht selten wortgleiche Schlagzeilen, die öffentliche Nachrichtenagenda wird weitgehend durch politisch inszenierte Pseudo-Ereignisse bestimmt und politische Skandale werden weitgehend vernachlässigt.
In diesem Zusammenhang identifizierten verschiedene sozialwissenschaftliche Studien, wie jene von Freeman, Feldman oder Gamble/Watanabe ein auf gegenseitigen Vorteil ausgerichtetetes Informationskartell zwischen den fünf großen Medien-Konglomeraten Yomiuri, Asahi, Mainichi, Nikkei und Sankei auf der einen, sowie staatlichen Institutionen, dominiert durch die „ewige“ Regierungspartei LDP, auf der anderen Seite. Die Beschränkung der Vermittlung politischer Information auf das in den Presseclubs institutionalisierte Recherchenetzwerk der etablierten Verlage ermögliche es, ungewollte Konkurrenz effektiv aus dem Markt herauszuhalten. Der von japanischen Medien stets offensiv propagierte Gleichheitsgrundsatz gilt dabei nur für die im japanischen Verlegerverband organisierten Medien, die sich den vielfältigen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln des Presseclub-Journalismus unterwerfen. Investigativ arbeitenden Journalisten, in der Regel Freelancer, Reporter der politischen Wochenzeitschriften oder auch ausländische Korres-pondenten, wird der Zugang zu Informationsquellen erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.
Bisher waren es eher diese mediensoziologischen Aspekte der Journalisten-Informanten-Beziehungen, die von der japanbezogenen Sozialforschung thematisiert wurden. Die Anwendung des Anti-Monopol-Gesetzes, handels- und steuerrechtliche Sonderregelungen, Subventionen oder informelle Marktverhaltenssteuerung über administrative Anleitung wurden bislang weitgehend vernachlässigt. Um das Phänomen einer strukturellen Selbstzensur und einer seit den 60er Jahren anhaltenden Marktstarre ganzheitlich analysieren zu können, will ich mit meiner Arbeit diese Forschungslücke schließen und die Einflüsse formeller und informeller Mechanismen staatlicher Marktregulierung strukturieren. Auf dieser Grundlage soll im Zuge einer wettbewerbstheoretischen Marktanalyse die Frage nach den Perspektiven der Tageszeitung in einem von zunehmender Konvergenz geprägten medialen Umfeld beantwortet werden.
Möglicherweise werden sich darüber auch weitere Anreize für etwaige publi-zistische Selbstbeschränkungen erschließen. Der Vortrag wird sich in erster Linie auf die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen des japanischen Mediensystems konzentrieren und anhand einiger Fallbeispiele eine Bestandsaufnahme zu den Besonderheiten des Presseclub-Journalismus liefern.

Falk Schäfer ist Doktorand der Freien Universität Berlin. Als Gastforscher der Sophia Universität arbeitet er derzeit vor Ort in Tokyo zu den Wettbewerbs-beziehungen im japanischen Tageszeitungsmarkt. Der 30-jährige ist nebenbei auch als freier Journalist tätig und vertritt aktuell die Berliner „Tageszeitung (taz)“ als deren Japan-Korrespondent.