Mittwoch, 28. Mai 2008, 18:30–20:00 Karin Yamaguchi: Leibniz und China

Im April 1697 erschien auf dem europäischen Buchmarkt das Werk „Novissima Sinica“, zu deutsch: „Neuestes aus China“. Der dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend lange Untertitel versprach dem Leser:
„Darin wird vieles bislang Unbekanntes dargetan, ein nach Europa übermittelter Bericht über die erstmals staatlich zugelassene Verbreitung des Christentums, weiter über die Wertschätzung der europäischen Wissenschaften, über die Sitten des Volkes und besonders dessen gegenwärtigen Herrschers, und schließlich über den Krieg der Chinesen mit den Russen und ihrem Friedensschluss.“
Herausgeber und Verfasser des Vorwortes dieses Buchs war der Universalgelehrte und Hofrat am Hof zu Hannover und Bibliothekar von Braunschweig-Wolfenbüttel Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716), der sich während vieler Jahre seines Lebens immer wieder mit der chinesischen Kultur und den chine-sischen Wissenschaften auseinandergesetzt hatte. Besonders der „praktischen Philosophie der Chinesen“, der Morallehre des Konfuzius, brachte er große Bewunderung entgegen. Diese Bewunderung ging so weit, dass er im Vorwort zu seinem Werk gar anregte, die Chinesen mögen Missionare nach Europa schicken, die den Europäern Unterricht in öffentlicher und privater Moral erteilen sollten.
Durch seinen Briefwechsel mit den Chinamissionaren, besonders mit Joachim Bouvet, und auch durch die Lektüre verschiedener Werke über China, z.B. Couplets „Confucius Sinarum Philoso-phus“, erschienen in Paris im Jahre 1687, gewann Leibniz aber auch Einblick in die spekulative Gedankenwelt Chinas und in die chinesische Religiosität. Auf Bitten eines seiner Briefpartner, des Ersten Rats des Herzogs von Orléans, Nicolas-François Rémond, unternahm er es einige Zeit vor seinem Tod, von Oktober 1715 bis April 1716, seine Einsichten und Ansichten zur chinesischen Kosmologie, Naturphilosophie und Religiosität zusammenhängend niederzuschreiben. Dieser Brief, der unvollendet blieb, ist uns unter der Bezeichnung „Discours sur la théologie naturelle des Chinois“ überliefert worden.
China war gleichsam die große kulturelle Entdeckung und Offenbarung des 17. Jahrhunderts, und Leibniz stand mit seiner Begeisterung für dieses große Reich nicht allein da. Man erhoffte sich vieles: Zuwachs an Wissen, neue Techno-logien, Wirtschaftsbeziehungen. Diese Hoffnungen und Erwartungen teilte auch Leibniz. Sie waren Teil seiner umfassenden und weitreichenden Vision von einem guten, „vernunftgemäßeren“ Leben nicht nur für seine Landsleute und für China, sondern für den gesamten eurasischen Kontinent:

„Durch eine einzigartige Entscheidung des Schicksals, wie ich glaube, ist es dazu gekommen, daß die höchste Kultur und die höchste technische Zivilisation der Menschheit heute gleichsam gesammelt sind an zwei äußersten Enden unseres Kontinents, in Europa und in Tschina (so nämlich spricht man es aus), das gleichsam wie ein Europa des Ostens das entgegengesetzte Ende der Erde ziert. Vielleicht verfolgt die Höchste Vorsehung dabei das Ziel – während die zivilisiertesten (und gleichzeitig am weitesten voneinander entfernten) Völker sich die Arme entgegenstrecken –, alles, was sich dazwischen befindet, allmählich zu einem vernunftgemäßeren Leben zu führen.“

Doch was wusste man damals konkret über China? Was war nach Leibniz’ Auffassung „vernünftig“? Und was unternahm er, um seine Vision zu verwirklichen?

Karin Yamaguchi, Studium der Philosophie und Japanologie in München und Bochum. Forschungsinteressen: Philosophie der Neuzeit, speziell der Frühaufklärung (Leibniz, Wolff) und interkulturelle Philosophie.

Hinweis:
Im Anschluss an den Vortrag werden die Gewinner des Fotowettbewerbs bekannt gegeben.