Vorträge
Mittwoch, 20. Mai 2015, 18:30–20:30 Vortag von Prof. Dr. Evelyn Schulz: „Japan als Entschleunigungsgesellschaft? Phänomene und -diskurse in der japanischenGegenwartsgesellschaft aus kultur- und literaturwissenschaftlichen Perspektiven“
Seit dem 19. Jahrhundert lösen vielschichtige Globalisierungs- und Modernisierungsprozesse tief greifende Transformationen aus. Auch in Japan sind Erfahrungen einer immer stärker ausgeprägten Beschleunigung der materiellen, geistigen und sozialen Welt konstitutiver Bestandteil einer Moderne, deren hegemoniales Narrativ Fortschritt und Wachstum untrennbar aufeinander bezieht. Globale Probleme wie Klimawandel, Ressourcenverknappung und Finanzkrisen sowie das unaufhaltsame Wuchern urbaner Räume verdeutlichen, dass eine allein auf Wachstum und Beschleunigung ausgerichtete Politik an ihre sozialen und ökologischen Grenzen stößt.
Die japanische Gegenwartsgesellschaft erscheint im Hinblick auf diese Fragen als ein geradezu paradigmatisches Beispiel: Galt Japan noch bis in die jüngste Vergangenheit als „Hochgeschwindigkeitsgesellschaft“, mehren sich seit geraumer Zeit Evidenzen für eine von Stagnation und Überalterung geprägte Gesellschaft. Doch während die Regierung auf ein staatlich initiiertes Wirtschaftswachstum und damit weitere Beschleunigung zur Bewältigung der Zukunft setzt, gibt es auch Anzeichen dafür, dass die vielschichtigen sozioökonomischen und demografischen Schrumpfungs- und Entschleunigungsprozesse nicht ausschließlich negativ bewertet werden. Vielmehr können sie auch als Ressource nachhaltiger Zukunftsgestaltung und Ausdruck einer neuen Modernität verstanden und genutzt werden.
Ziel des Vortrags ist es zum einen, diesen Diskurs im Kontext divergierender Modernisierungs- und Modernitätsvorstellungen zu betrachten; zum anderen soll exemplarischer Fallbeispiele das Potential von Entschleunigungsperspektiven für die Japanforschung erläutert werden.
Evelyn Schulz, Professorin für Japanologie am Japan-Zentrum der Ludwig Maximilians Universität München. Arbeitsschwerpunkte bilden die Literatur und Kultur des modernen Japan. Langjährige Forschungen zum urbanistischen Diskurs in Japan, insbesondere zu Tokyo. In jüngster Zeit arbeitet sie über Strategien der Entschleunigung urbaner Räume und deren medialen Repräsentationen sowie kulturell-literarische Austauschbeziehungen und deren globalen Verflechtungen.