Mittwoch, 29. Mai 2013, 18:30–20:00 Vortrag von Dr. Charles de Wolf: „Die Umwandlung der Sprache des Genji monogatari in europäische Formen“


いづれの御時にか、女御、更衣あまたさぶらひたまひけるなかに、
いとやむごとなき際にはあらぬが、すぐれて時めきたまふありけり。

„Unter welchem Herrscher geschah es wohl? ‒ da war unter den vielen Nyōgo und Kōi eine, die zwar aus nicht allzu hohem Hause stammte, aber die kaiserliche Huld am meisten genoß.“ (Oscar Benl)

Spät-Altjapanisch, das auch Klassischjapanisch (KJ) genannt wird, ist keine Sprache, die dem Anfänger schwer fallen sollte. Im Gegensatz zu den flektierenden Sprachen, wie Latein, Griechisch und sogar Deutsch, ist sie, und zwar noch eher als Neujapanisch (NJ), durch Agglutination gekennzeichnet, d.h., sie bildet Satzteile mit leicht erkennbaren Formen und belastet uns nur selten mit Unregelmäßigkeiten. Die größten Unterschiede zwischen KJ und NJ liegen im Wortschatz, der fast ausschließlich aus rein japanischen Wörtern (yamato-kotoba) besteht sowie im Verbsystem, das wesentlich komplizierter ist. Sonst ist die Sprache unverkennbar Japanisch (kodai-nihongo) und nicht irgendwie „Heianisch“ (heiango). Verglichen damit ist Angelsächsisch für Neuenglisch-Muttersprachler durchaus eine Fremdsprache, auch wenn wir Sprachwissenschaftler es als Altenglisch bezeichnen.

Nicht zu leugnen ist jedoch, dass die Sprache von Murasaki Shikibu, der Autorin des Genji Monogatari, besondere Probleme bietet. In diesem Vortrag werde ich zuerst die Merkmale der Genji-Sprache kurz beschreiben und anschließend Beispiele von Übersetzungen in europäischen Sprachen vorstellen. Von besonderem Interesse sind dabei die stilistischen Unterschiede. Der Sprachgebrauch von Oscar Benl (Die Geschichte vom Prinzen Genji), vor allem aber der von René Sieffer (Le Dit du Genji), ist absichtlich archaisierend. Royall Tyler (The Tale of Genji) beharrt bei der Bezeichnung der Romanfiguren auf deren Rang, Edward Seidensticker hingegen benutzt Beinamen. Jedenfalls ist das Englisch beider Übersetzer der Umgangssprache viel näher als das von Arthur Waley.

Wie lassen sich nun stilistisch unterschiedliche Übersetzungen bewerten? Über diese und andere Fragen würde ich mich gerne mit Zuhörern aus der deutschsprachigen Gemeinschaft in Japan unterhalten.
Dr. Charles De Wolf (須田狼庵), Professor Emeritus der Keiō-Universität, ist ursprünglich Linguist, beschäftigt sich aber in den letzten Jahrzehnten mit der Übersetzung der klassischen und modernen japanischen Literatur. Er ist japanischer Staatsbürger.