Donnerstag, 29. Februar 2024, 18:30–20:00 Birgit Maier-Katkin: „Exil in Shanghai. Grenzgeschichten mit interkulturellen Begegnungen“

Dr. Birgit Maier-Katkin spricht in ihrem Vortrag über Shanghai fern von wo (2008), einem Roman, in dem sich Ursula Krechel mit deutsch-asiatischen Begegnungen in Krisenzeiten befasst. Krechels historische Erzählung berichtet von deutschsprachigen Juden, die aus Nazi-Deutschland flohen und in Shanghai Zuflucht fanden. Auf Grund der Flüchtlingssituation ist die besondere Art der Anziehungskraft Asiens im Buch nicht aus der kolonialen Perspektive erzählt, sondern zeigt die Sicht einer notgedrungenen Gemeinschaft. Krechels Roman stellt dar, wie aus Deutschland, Tschechien, und Österreich kommende Juden Asien erlebten. Sie beschreibt die Wahrnehmung der neuen Umgebung, interkulturelle Beziehungsansätze und individuelle Grenzüberschreitungen von der europäischen zur asiatischen Kultur.

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Krechel gründete ihren Roman auf historische Dokumente, die sie in Archiven fand und schaffte damit eine Geschichte, die sich an historische Tatsachen und reelle Flüchtlinge hält, aber auch fiktive Erzählelemente einfügt. Ihr Text verbindet die Erfahrung zwischen Flucht und Verschwinden, zwischen Entwurzelung und Persönlichkeitsverlust. 1938/1939 war die Stadt Shanghai für viele Juden die letzte Hoffnung, dem Naziregime zu entkommen. Da in dem von Japan kontrollierten Hafengebiet Flüchtlinge ohne Visa aufgenommen wurden, wirft dieser Vortrag auch ein Blick auf die Rolle Japans. Es ist interessant, dass, obwohl der Roman auf die Erfahrung von Entfernung und Orientierungslosigkeit hinweist und die unerwarteten, oft beschwerlichen Herausforderungen der von ihrem Heimatland entfernten Flüchtlinge beschreibt, auch ein Grundton der Dankbarkeit anklingt. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfuhren viele Flüchtlinge, welcher verheerenden Verfolgung sie entkommen waren. Krechels Roman ist deshalb vor allem auch eine Hommage an die asiatischen Länder, die das Überleben der deutschsprachigen Flüchtlinge in Shanghai ermöglichten.

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Birgit Maier-Katkin kommt ursprünglich aus Denkendorf (Baden-Württemberg). Sie ist Associate Professor für Neuere deutsche Literatur an der Florida State University/USA. Ihre Forschungsinteressen und Publikationen liegen im Bereich Exilforschung, Erinnerungskultur, Menschenrechtsfragen, transnationale Literatur und ganz allgemein in der deutschsprachigen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts. Aktuell beschäftigt sie sich mit dem Thema deutschsprachiger Juden in Shanghai im Rahmen der deutsch-ostasiatischen Erinnerungskultur.

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