Mittwoch, 21. Februar 2024, 18:30–20:00 Sakata Tomoki: „Miyazakis Lebenskonzept hinter Chihiros Reise ins Zauberland im Vergleich mit Goethes und Nietzsches Weltanschauung“

„Der Junge und der Reiher“, der neueste Film von Miyazaki Hayao, trägt als japanischen Originaltitel eine der fundamentalsten Fragen der Philosophie oder des Menschseins: „Wie würdet ihr leben?“ (Kimitachi wa dō ikiru ka). In dem Vortrag handelt es sich um dieses Rätsel des Lebens, das in allen Miyazakis Filmen bezaubernd illustriert, aber hier in Chihiros Abenteuer untersucht wird. Miyazaki ist zwar durch seine Animationsfilme weltweit bekannt und beliebt, seine tiefsinnige und etwas ironische Weltansicht bleibt aber zu wenig beachtet. Dieser Hintergrund motiviert den Referenten, der als Kind von Miyazakis Filmen viel inspiriert wurde und gegenwärtig in Deutschland über westliche Philosophie doziert.

Miyazaki erzählt in seinen Interviews, dass die Inszenierung des Zauberlandes ein Pendant zu seinem Studio Ghibli bilde. Blickt man hinter die Kulissen, so erfährt man ganz trivial, wie junge Erwachsene in Japan arbeiten: Einerseits wird ihre Würde durch das kapitalistische Arbeitsethos stark unterminiert. Anderseits werden sie aber genau in dieser Berufstätigkeit dank sozialer Beziehungen gefördert und gebildet, wie es Chihiro erlebt. Beides ist unverzichtbare und unveränderbare Realität des Lebens. Miyazakis Lebensbegriff widerspricht sich somit im bizarren Dualismus von Nihilismus und Humanismus.

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Der zweite Teil des Vortrags widmet sich der Klärung dieses Sachverhalts, indem Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre und Nietzsches Zur Genealogie der Moral oder Jenseits von Gut und Böse in die Betrachtungen einbezogen werden. Diese Vergleiche sind zwar ahistorisch und erscheinen willkürlich, erweisen sich dennoch als aufschlussreich, da der Lebensbegriff hier thematisch viele Überschneidungen (d.h. aber auch viele Abweichungen) aufweist, welche nicht nur Miyazakis Gedankenwelt, sondern auch die von Goethe und Nietzsche deutlicher sichtbar machen. Nihilistischer Zug äußert sich vor allem darin, dass sophistische Rede über gutes Leben als Täuschung angegriffen und durch eine nüchterne Lebensweise ersetzt wird, wie es Nietzsche oder Goethes Montan unternimmt. Dadurch soll aber das Menschenherz nicht verloren- und im Herdeninstinkt aufgehen. Die uneingeschränkte Gutherzigkeit liegt auch in unserer Natur. Miyazaki gefällt sehr die alte japanische Erzählung „Kasa Jizō“ (Strohhut-Jizō), weil dort das alte Ehepaar trotz schwieriger Lebenssituation ohne Ehrgeiz große Herzenswärme zeigt. Diese Lebenskraft wird, neben jener beruflichen Fähigkeit, im Film von Chihiro graduell angeeignet und in Goethes Roman von Makarie symbolisiert.

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Sakata Tomoki ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Philosophie an der Universität Bamberg. In seiner Promotionsarbeit beschäftigte er sich mit der Symbolphilosophie von Ernst Cassirer mit Blick auf Mythos und Wissenschaft. Sein Forschungsinteresse besteht in der komparativen Kulturphilosophie mit dem Schwerpunkt auf Japan, wo er unterschiedliche Lebensphänomene wie Umgang mit der Technik, Konzept des Körpers, Idee der Religion und Kunst usw. untersucht und thematisiert. Zudem spezialisiert er sich, aufbauend auf seinem früheren Bachelorstudium der Physik (Japan 2009), auch auf die Philosophie der Technik, Goethische Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie.

Video-Mitschnitt

Im Anschluss an den Vortrag findet die Eröffnung der Ausstellung bei einem kleinen Umtrunk im Foyer statt.