Mittwoch, 18. Juni 2014, 18:30–20:00 Vortrag von Dr. Albrecht Rothacher: „Okinawa – die letzte Schlacht des 2. Weltkriegs. Vorgeschichte, Verlauf und Folgen“

Das unabhängige Königreich der Ryūkyū wurde 1872 von Japan annektiert und blieb – vor allem nach dem kolonialen Erwerb Taiwans – bis 1944 eine strategisch uninteressante unterentwickelte Randprovinz. Im Zuge der amerikanischen Siege im Süd- und Mittelpazifik gewann Okinawa dann doch als potentieller Vorposten, Luftwaffenstützpunkt und Logistikzentrum für die beabsichtigte Invasion Kyushus eine fatale strategische Bedeutung, die auch dem japanischen Oberkommando klar war. Die Inseln wurden militärisch verstärkt, und vor allem im Südteil der Hauptinsel wurden von der Armee und zwangsverpflichteten Zivilisten systematisch mit Tunneln verbundene Verteidigungsstellungen gegraben. Nach der Landung am 1.4.45 wurde der kaum verteidigte Norden sehr schnell aufgerollt. Im Süden, dem Zentrum der Bevölkerung und der okinawanischen Kultur, dagegen lief der US-Angriff bald an den schwer befestigten Bergriegeln fest. Mit den Waffen des 2. Weltkriegs (Bomben, Raketen, Schiffsartillerie, Phosphorgranaten und Flammenwerfern) wurde ein asymmetrischer Grabenkrieg des 1. Weltkriegs mit großer Härte und hohen Opfern ausgefochten.

In den Gewässern vor Okinawa setzte die japanische Marine ihr ganzes Arsenal von Selbstmordwaffen ein: Sprengstoffgefüllte Sturmboote, Ein-Mann-Torpedos, Oka-Flugbomben, die Kamikaze selbst und die letzte Fahrt der Yamato. Die Opfer waren jedoch nie annäherungsweise gefechtsentscheidend. Mit dem Rückzug der Japaner von der Hauptkampflinie nördlich Naha und Shuri Anfang Juni 45 in die befestigten Berge und Höhlen der Südküste zerbrach bald der organisierte Widerstand. Die letzten Wochen bestanden aus militärisch sinnlosen Massakern an Zivilisten und versprengten Soldaten. Kriegsverbrechen wurden von beiden Seiten in großer Zahl verübt. Hauptopfer waren Zivilisten, japanische Kriegsgefangene und Verwundete.

Nach der Einstellung der Kämpfe am 24. Juni war der Süden Okinawas, einschließlich Naha und der Königsstadt Shuri, völlig verwüstet. 120.000 Zivilisten waren getötet – ein Drittel der verbliebenen Inselbevölkerung –, 70.000 japanische und 7.000 amerikanische Soldaten gefallen. Das Erbe der Ryūkyū-Kultur – Tempel, Burgen, Brücken, Gärten, Kunstschätze, Archive, sämtlich zerbombt, verbrannt oder geplündert. Die überlebende Bevölkerung wurde in Zeltlager gesperrt und fand Arbeit in den US-Militärstützpunkten und Feldbordellen. Bis 1972 blieb Okinawa eine vernachlässigte US-Militärkolonie. Doch auch nach der Rückgabe an Japan sind die besten Teile der Insel und Küste weiter US-Militärbasen. Aus Tokyoter Sicht werden die Einwohner Okinawas für die Tatsache, dass sie 75% aller US-Stützpunkte in Japan beherbergen, durch den ständigen Subventionsstrom für mehr oder minder sinnhafte Bauprojekte entschädigt, eine etwas einseitige Sicht der Dinge, die die Inselbevölkerung seither in zwei Lager spaltet.

Dr. Albrecht Rothacher
, geboren in Erlangen. Nach dem Wehrdienst sozialwissenschaftliches Studium in Berlin, Konstanz, Bridgeport (Connecticut), New Haven, am EHI in Florenz und an der ICU in Mitaka/Tokyo. Promotion 1982 an der London School of Economics. Seit 1984 Europäischer Beamter. Nach längeren Japanaufenthalten in den 80er Jahren im September 2011 Rückkehr als Gesandter-Botschaftsrat an die EU Delegation Tokyo.