Vorträge
Mittwoch, 3. Dezember 2025, 18:30–20:00 Prof. Dr. Arnd Hafner: „Ist China eine europäische Erfindung? Gedanken über den Unterschied zwischen chinesischer Geschichte und der Geschichte Chinas“
Die chinesische Schrift können wir anhand von Orakelinschriften sicher bis ins 13. Jahrhundert vor unserer Zeit zurückverfolgen. Die Tatsache, dass es zur Entzifferung dieser Inschriften keines Rosette-Steines, sondern nur fundierten Wissens über die chinesische Schriftsprache bedurfte, deutet darauf hin, dass die Sprache, die diese Schrift aufzeichnete, eng verwandt mit der modernen chinesischen Sprache ist. Wir können also getrost die lange Tradition der schriftlichen Dokumentation in dieser Schrift „chinesische Geschichte“ nennen. Auch Staaten, die diese Schrift und Sprache für ihre institutionelle Organisation verwendeten, könnten – zumindest in Bezug auf die Sprache – als „chinesische Staaten“ aufgefasst werden.



Interessant ist nun, dass es in der langen und komplizierten Reihe dieser chinesischen Staaten viele gibt, deren Herrscherfamilien bzw. herrschenden sozialen Schichten sich aus anderssprachigen Bevölkerungsgruppen rekrutierten. Wenn wir unsere Suche auf die nördliche Hälfte des modernen Chinas begrenzen, so ist es wohl unmöglich, nach dem 4. Jahrhundert u.Z. einen chinesischen Staat ausfindig zu machen, dessen Gründung sich nicht auf die politische und militärische Macht solcher Bevölkerungsgruppen stützte. Selbst Zhao Kuangyin, der erste Kaiser der Song, der wohl „chinesischsten“ aller „chinesischen“ Dynastien, wurde als Anführer einer türkisch-mongolischen Armee von dieser zum chinesischen Kaiser gekrönt.
Es ergibt sich also die Frage, in welcher Beziehung diese hybriden chinesischen Staaten zu dem eindeutig von Chinesisch sprechenden Bevölkerungsgruppen dominierten modernen China stehen. Welchen legitimen Anspruch auf die chinesische Geschichte kann das moderne China stellen? Mit diesen sowie anderen Fragen über das Konzept des modernen Nationalstaates wird sich Arnd Hafners Vortrag anhand der Entstehungsgeschichte des modernen chinesischen Wortes für „China“ beschäftigen.


Dr. Arnd Helmut Hafner ist Professor für chinesische Rechtsgeschichte an der Juristischen Fakultät der Meiji-Universität. Er studierte modernes japanisches Recht und Rechtssoziologie, erwarb den Bachelor, Master und Doktor der Rechtswissenschaften an der Juristischen Fakultät und durchlief parallel dazu eine traditionelle Ausbildung in chinesischer Geschichte an der Abteilung für Orientalistik des Instituts für Humanwissenschaften, beides an der Universität Kyoto. Er studierte zudem chinesische Paläographie am Institut für chinesische Sprache und Literatur der Universität Peking.
Er publizierte bislang hauptsächlich auf Japanisch und Chinesisch. Zwei repräsentative Werke sind The Penal System of the Qin and the Han (Shinkan keibatsu taikei no kenkyū 秦漢刑罰体系の研究), erschienen 2009 bei Sōbunsha, und Annotated Transcription of the ‚Four Scrolls of Demonstrative Examples of Handling Criminal Cases and Others‘ from the Yuelu Collection of Qin Slips (Revised Edition) (Yuèlù qínjiǎn ‘wèiyù děng zhuàng sìzhǒng’ shìwén zhùshì 嶽麓秦簡《爲獄等狀四種》釋文注釋(修訂本)), erschienen 2021 bei Shanghai Classics Publishing House.
Naive Träume über den Orient brachten Hafner 1988 nach Japan. Vollkommen verschiedene persönliche und gesellschaftliche Erfahrungen in Japan, China, Korea und Taiwan machten ihm bewusst, dass es den Orient gar nicht gibt. Verblüffende Ähnlichkeiten in der imperialistischen und faschistischen Geschichte Japans und Deutschlands lehrten ihn das Gleiche über den Westen.
WINTERZEIT!!
Zeit: 18.30-20.00 Uhr (Japan), 10.30-12.00 Uhr (MESZ)
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