Mittwoch, 12. März 2014, 18:30–20:00 Vortrag von Dr. Torsten Weber: „Das kleine und das große Glück. Vom Alltags- und Kampfbegriff im Imperialen Japan“

Konzeptionen von Glück sowie deren kontroverse Verhandlung im öffentlichen Raum sind kein exklusives Phänomen des späten 20. oder gar des 21. Jahrhunderts. Schon seit der späten Meiji-Zeit lassen sich in Japan Glücksdiskurse beobachten.

Neben dem Glücksbegriff als Ausdruck von Lebensqualität und Wohlergehen, bei dem subjektive und sozialwissenschaftlich messbare Empfindungen im Vordergrund stehen, bezeichnet ein abstrakterer Glücksbegriff erstrebenswerte Lebensbedingungen. Historisch ist dieser zweite Glücksbegriff eng verbunden mit einer positivistischen Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigkeit. Danach galt Glück nicht nur als subjektiv erstrebenswert, sondern auch makrosozial möglich, nämlich in „modernen“ Gesellschaften, die sich Wissenschaft und Fortschritt verschrieben hätten.

Ähnlich wie bei anderen politischen Ideen galten auch in Bezug auf Glück westliche Vorstellungen von Fortschritt, der geistigen und materiellen Wohlstand mit sich bringen sollte, lange als maßgeblich. Seit der Meiji-Zeit erschienen zahlreiche Werke europäischer Autoren in japanischer Übersetzung, die eine Theorie oder Praxis des Glückes zum Thema hatten und zum Teil heute noch Bestseller sind. Daneben wurde Glück als Kampfbegriff zunehmend ideologisiert und der Aufstieg Japans zu einer „Nation ersten Ranges“ als vorgeblicher Weg zum Nationalglück postuliert.

Im öffentlichen Diskurs kam dem Glücksbegriff dadurch eine wichtige Rolle zu, da der staatliche Nationalwohlstandsbegriff (kokufu) einem bürgerlichen Glücksbegriff (kokumin no kōfuku) gegenübergestellt werden konnte. Wem oder was nutzte ein reicher oder starker Staat, wenn seine Bürger nicht glücklich waren? Der Glücksbegriff konnte aber nicht nur auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern auch auf den Alltag bezogen werden, zum Beispiel im Streben nach besseren Arbeits-, Lebens- und Wohnbedingungen. Der Vortrag stellt den heute omnipräsenten Glücksbegriff im historischen Kontext sozio-politischer Debatten des imperialen Japans vor.

Dr. Torsten Weber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Geisteswissenschaftlichen Abteilung am Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ) in Tokyo. Dort forscht er u.a. zu sozio-politischen Aspekten des Glücksbegriffes im imperialen Japan. Zu seinen Forschungsinteressen gehören neben der Glücksforschung auch Asiendiskurse, Nationalismus, Geschichtspolitik und Vergangenheitsbewältigung in Ostasien.