Mittwoch, 2. Oktober 2013, 18:30–20:00 Abschiedsvortrag von Botschafter Dr. Stanzel: „Die Heisei-ishin ‒ ein neues Japan“

Selten hat ein Land Vermutungen und Vorurteile in so kurzer Zeit so dramatisch widerlegt. Japan, ein Land verkrusteter Traditionen, gelähmter Politik, entwicklungsunfähiger Wirtschaft, überalteter Menschen, langweilig, von dem man allenfalls sagen könne, dass es (noch) reich sei … ‒ so die Meinungen bei uns, rund um den Globus und in Japan selbst, je mehr enttäuschende Jahre seit dem Platzen der Boom-Blase 1990 vergingen.

Vier Jahre jedoch ist Japan nun schon für ständige Überraschungen gut: nicht wenig für ein traditionelles Industrieland, eine Demokratie mit etablierten Strukturen mühsamer Willensbildung. Es liegt daher nahe, den Vierjahres-Zeitraum nicht als Folge voneinander isolierter, überraschender Umbrüche zu verstehen, sondern als einen einzigen großen Umbruchprozess nach zwei Jahrzehnten des Tastens und der Verunsicherung. Ein Prozess, der mit der erstmaligen Regierungsübernahme durch eine Oppositionspartei begann, über gravierende innen- und außenpolitische Fehlschläge führte; über die Bewältigung der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011, einer superben Leistung japanischen Gemeinschaftsgeistes, zugleich einer erschütternden Erfahrung technischer Verwundbarkeit; über das Desaster in der Beziehung zu China bis hin zu den beiden erstaunlichen Wahlsiegen des scheinbaren politischen Leichtgewichts Abe, der seinem Wahlsieg Maßnahmen zur wirtschaftlichen Erholung und Umstrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft folgen ließ und Japan für eine Verbesserung des Verhältnisses zu seinen demokratischen Nachbarn wie zu den USA öffnete. Ein neues Japan; ‒ vielleicht die 2009 von Hatoyama beschworene „Heisei-ishin“? So kann sich der Beobachter nach vier Jahren mit der Schlussfolgerung verabschieden, dass unser wichtigster demokratischer und friedlicher Partner in Asien künftig ein verlässlicheres Standbein für die europäische Asienpolitik sein wird, als in den Jahrzehnten des Zagens ob der strategischen Unschlüssigkeit dieses Landes.

Dr. Volker Stanzel studierte Japanologie, Sinologie und Politische Wissenschaft an der Universität Frankfurt und von 1972-1975 an der Universität Kyoto. 1980, ein Jahr nach dem Eintritt in den Auswärtigen Dienst, promovierte er an der Universität Köln. Es folgten u.a. Stationen in Rom, Tokyo (1982-85, Presse und Politik), Budapest (1985, KSZE-Kulturforum), Aden (1985-87, Geschäftsträger an der Dt. Botschaft), Peking (1990-93, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit), Washington, Peking (2004-07 als Botschafter). 2007-09 war er Politischer Direktor im AA. Seit Dezember 2009 ist er Botschafter in Japan. Seine zahlreichen Veröffentlichungen können Sie unter folgender Adresse lesen: http://www.japan.diplo.de/Vertretung/japan/de/02-Botschaft/Abteilungen/Bo-Publikationen.html

Im Anschluss an den Vortrag findet anlässlich der Verabschiedung von Botschafter Dr. Stanzel ein kleiner Empfang statt.