Mittwoch, 21. September 2022, 18:30–20:00 Dr. Wolfgang Herbert: „Saraba Yakuza – Zum Strukturwandel der japanischen Unterwelt“

Der Vortrag findet ausschließlich per Zoom statt, da der Vortragende aus unvorhergesehenen Gründen nicht nach Tokyo kommen kann.
Wir bitten um Ihr Verständnis.

Der altgediente Kriminaljournalist Mizoguchi Atsushi spricht von „tektonischen Verschiebungen“ in Japans Unterwelt. Er hat auch den Begriff für neue kriminelle Cliquen geprägt: Hangure. Nicht-bürgerlich, nicht Yakuza, beides zur „Hälfte“ (han) und „heruntergekommen“ (von „gureru“), aber eben auch nur auf halber Strecke. „Gure(e)“ kann auch für „grau“ in Grauzone stehen.

Der von der Polizei präferierte Begriff für sie ist junbōryokudan (jun = Semi-, Quasi-), gewissermaßen eine „gewalttättige Gruppe“ (= Yakuza) in statu nascendi. Dies verschleiert aber, dass die hangure nicht Objekt der Anti-Yakuza-Gesetze und Ausschlussverordnungen sind. Es handelt sich um lose, netzwerkartige, kurzfristige, deliktzentrierte Zweckverbindungen, die Polizei spricht auch von „amöbenhafter“ Struktur. Teilweise imitieren sie Yakuza-Organisationen in ihrem pyramidenhaften Aufbau und es sind Banden mit mehr als hundert Mitgliedern aufgeflogen. Ihre Haupteinnahmequelle sind Betrugsverbrechen, wobei betuchten Betagten mit diversen Schwindeleien die Ersparnisse abgeluchst werden (sog. furikomesagi = Banküberweisungsbetrügereien). Dazu gehört auch Investitionsbetrug.

Die hangure übernehmen zudem Yakuza-Domänen wie das Kredithaiwesen, Schuldeneintreiben, Schutzgelderpressung und die Sexindustrie. Im Nachtleben sind sie heute dominant, betreiben „Girl Bars“ und Host-Clubs, in denen exorbitant überhöhte Preise abgepresst werden. Auch das Glücksspiel (Internet) und der Drogenhandel gehen in ihre Hände über. Es bilden sich hybride Formierungen aus: Yakuza und Ex-Yakuza fungieren als Auftraggeber oder Consiglieri oder werden gar Mitglieder. Es kommt zu Geldfluss zu den Yakuza, die für Protektion und Logistik sorgen.

Die landesweite Mannstärke der Yakuza weist in den letzten Jahren einen beträchtlichen Schwund auf. Sie ist innerhalb von zehn Jahren um zwei Drittel geschrumpft. Dazu kommt die Überalterung: knapp über die Hälfte ist 2019 über 50 Jahre alt. Nur ein knappes Fünftel ist unter 30 Jahre alt, in den Zwanzigern sind nur 4,3%, d.h. der Nachwuchsmangel ist eklatant. Diese Zahlen allein dokumentieren das demographische Aussterben der Yakuza. Ökonomisch haben sie eine Modernisierung und Adaption an die Informationsgesellschaft verpasst. Sie stehen unter fatalem Druck der Strafverfolgungsbehörden. Unter deren Radar bleiben hingegen die neuen kriminellen Gruppen, die im Fokus dieses Vortrages stehen.
Die Yakuza-Fanzines (sogenannte jitsuwashi) sind verschwunden, dafür erlebt der Yakuza-Film im Kino und auf Netlix eine gewaltige Renaissance. Darauf wird der Referent exemplarisch verweisen.

Wolfgang Herbert, Promotion in Japanologie (Nebenfach: Religionswissenschaften) an der Universität Wien 1993, Professor für Vergleichende Kulturwissenschaften an der Universität Tokushima. Hauptautor (mit Dirk Dabrunz) des Buches: Japans Unterwelt. Reisen in das Reich der Yakuza. 2. aktualisierte Aufl. Berlin: Reimer 2022.
Vorwort zur 2. Auflage des Buches Japans Unterwelt von Wolfgang Herbert und Dirk Dabrunz
Vorwort Unterwelt2

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