Mittwoch, 16. März 2022, 18:30–20:00 Dr. Celia Spoden: „Visionen von cyberphysischen Räumen und Avataren in Japan: Auf dem Weg in eine Zukunft frei von physischen, kognitiven, räumlichen und zeitlichen Einschränkungen?“

In dem im Jahr 2020 aufgelegten „Moonshot Research and Development Program“ formulierte der japanische Council for Science, Technology and Innovation das Ziel, bis 2050 eine Gesellschaft zu realisieren, in der Menschen frei von physischen, kognitiven, räumlichen und zeitlichen Einschränkungen sein werden. Dahinter steckt die Absicht, Lösungen für die rückläufige Geburtenrate und Überalterung der japanischen Gesellschaft und insbesondere den daraus resultierenden Arbeitskräftemangel zu schaffen.

Alten oder körperlich eingeschränkten Menschen und Personen mit Verpflichtungen wie Pflege und Kindererziehung soll es unabhängig von Einschränkungen durch Raum und Zeit oder körperliche und geistige Fähigkeiten möglich werden, an der Arbeitswelt zu partizipieren. Dazu sollen sogenannte Cybernetic Avatare und eine Cloud basierte Infrastruktur entwickelt und soziale Akzeptanz für diese zukünftige Gesellschaftsform geschaffen werden.

Die Ziele des Moonshot-Programms fügen sich in die Vision der japanischen Regierung ein, eine führende Rolle bei der Nutzung von Technologien der Informationsgesellschaft (Gesellschaft 4.0) zu spielen, um eine super-smart society (Gesellschaft 5.0) zu realisieren. In dieser zukünftigen Gesellschaft sollen der Cyberspace und die physische Welt in eine perfekt vernetzte, hocheffiziente und inklusive Gesellschaft zusammengeführt werden.

Cabinet Office Moonshot Goal 1© Cabinet Office

Diese Visionen der japanischen Regierung mögen nach Stoff aus Science-Fiction Romanen klingen, in Ansätzen sind sie jedoch bereits realisiert und zur sozialen Wirklichkeit geworden. Ein Beispiel ist die Avatar-Technologie OriHime des Ory Laboratory. Ziel von Ory Labs ist es, der Vereinsamung von Menschen entgegen zu wirken und neue Formen der gesellschaftlichen Teilhabe zu schaffen, indem mit der OriHime neue Möglichkeiten in den Bereichen Mobilität, Kommunikation und Übernahme sozialer Rollen geboten werden. Durch den Avatar/Doppelgänger wird es Menschen mit körperlichen Einschränkungen möglich, obwohl sie bettlägerig sind, virtuell das Haus zu verlassen, am sozialen Leben teilzunehmen und Tätigkeiten wie den Empfang und die Bewirtung von Gästen auszuführen.

Nach einer Vorstellung der Zukunftsvisionen der Regierung und des Beispiels der OriHime, werde ich in meinem Vortrag untersuchen, was diese neuen Technologien für das Zusammenleben (in zukünftigen Gesellschaften) bedeuten. Während neue Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen einerseits als Chance für mehr Integration gesehen werden können, ist klärungsbedürftig, ob sie auch zu einer Verpflichtung führen können, an der Arbeitswelt zu partizipieren. Weiterhin ist fraglich, ob Avatare das Potential haben, Menschen von physischen und kognitiven Einschränkungen zu befreien und ob dadurch eine inklusive Gesellschaft geschaffen werden kann oder ob die Grenzen des „Normalen“ nur neu gezogen werden und neue Formen der sozialen Exklusion entstehen.

goal1_socialimage© Japan Science & Technology Agency

Celia Spoden arbeitet seit September 2021 am Deutschen Institut für Japanstudien in Tokyo (DIJ) im Forschungsschwerpunkt „Digitale Transformation – Diskurse, Strategien und Prozesse“. Zuvor war sie am Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin der Medizinischen Hochschule Hannover und am Institut für Modernes Japan der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf beschäftigt, wo sie zu ethischen Fragen am Lebensende und Entscheidungsfindungen bezüglich lebenserhaltender Maßnahmen forschte.

Exkursion zum Vortrag
Im Zusammenhang mit diesem Vortrag ist am Samstag, den 23. April von 12.00 bis ca. 14.00 Uhr eine Exkursion zum Café/Restaurant OriHime im Life Science Building in Nihonbashi geplant. Interessierte werden gebeten, sich per Mail oder telefonisch bei Frau Roeder im Büro zu melden.