Vorträge
Mittwoch, 16. November 2022, 18:30–20:00 Dr. Michael Wachutka: „Was tun mit dem toten Tennō? Bestattungsarten, Grabanlagen und Totengedenken im japanischen Kaiserhaus“
Am 1. Mai 2019 begann in Japan ein neues Zeitalter, als der damalige Heisei-Tennō Akihito tags zuvor zurückgetreten war und Kronprinz Naruhito nun als 126. Tennō unter dem neuen Äranamen Reiwa den Thron bestieg.
Grundvoraussetzung für die kaiserliche Nachfolge ist natürlich das Ende der vorangegangenen Herrschaft, welches jedoch in der Regel mit dem Tod eintritt. So waren beinahe auf den Tag genau 202 Jahre vergangen, seit am 7. Mai 1817 das letzte Mal in Japan durch Abdankung eines Tennō der Thron auf den Nachfolger überging.
Zum Zeitpunkt der Krönung seines Sohnes war Akihito 85 Jahre alt und im Schatten dieses feierlichen Ereignisses gab jedoch der Gesundheitszustand des nun annähernd 89-jährigen Tennō Emeritus schon seit einigen Jahren Anlass zur Sorge, nachdem er sich 2003 einer Prostatakrebsoperation und im Februar 2012 einer Bypass-Operation an den Herzkranzgefäßen unterziehen musste.
Weitgehend aus dem Bewusstsein verdrängt und unausgesprochen, wenn nicht geradezu tabuisiert, gilt doch für jeden „mors certa, hora incerta“: Mag die Stunde auch nicht bekannt sein, der Tod ist uns allen gewiss. So stellt sich auch hier unweigerlich, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand, die Frage: „Was tun mit dem toten Tennō?“, wenn denn der Zeitpunkt gekommen ist.
In Bezug auf Kaiser Akihito wurde eine Antwort mit teils überraschenden Details bereits auf einer Pressekonferenz im November 2013 durch den Leiter des Kaiserlichen Hofamtes der Öffentlichkeit präsentiert. Die wohl erstaunlichste „Neuerung“ in dieser Hinsicht ist, dass zum ersten Mal seit fast 400 Jahren ein japanischer Tennō nach seinem Tod eingeäschert werden soll, aber auch im Beisetzungszeremoniell und der Gestaltung des Mausoleums soll es Änderungen geben.
Dieser Vortrag stellt die für das Ableben Heisei-Tennōs angekündigten Revisionen in den Kontext aller bisher stattgefundenen kaiserlichen Beisetzungen in Japan, die aus politischen, gesellschaftlichen und individuellen Gründen im Laufe der Geschichte hinsichtlich ihrer Art, ihres Ortes und ihres zeremoniellen Ablaufs großen Veränderungen unterworfen waren.
Dr. Michael Wachutka ist seit 2009 Direktor des Zentrums für Japanstudien der Universität Tübingen in Kyōto. Seine in der Geistes- und Religionsgeschichte Japans liegenden Forschungsschwerpunkte sind insbesondere Fragen der Wechselbeziehung zwischen Volksglaube, Geisteskultur und nationaler Identität, die Mythologie und Kanonisierung heiliger Schriften des Shintō sowie ideengeschichtliche Aspekten des Tennō-Systems.
Neben zahlreichen Aufsätzen sind seine jüngeren Bücherveröffentlichungen Kokugaku in Meiji-period Japan: The Transformation of ‘National Learning’ and the Formation of Scholarly Societies (Global Oriental 2013); Staatsverständnis in Japan: Ideen und Wirklichkeiten des japanischen Staates in der Moderne (Mitherausgeber, Nomos 2016) sowie Religion, Politik und Ideologie: Beiträge zu einer kritischen Kulturwissenschaft (Mitherausgeber, Iudicium 2018). Eine ausführliche Publikationsliste findet sich hier.