Vorträge
Mittwoch, 29. September 2021, 18:30–20:00 Maja Linnemann: „Friedhofskultur in China. Ein Spaziergang über einige ausgewählte Friedhöfe in der Hauptstadt Beijing“
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts bevorzugten die meisten Chinesen es, ihre Toten in Familiengräbern zu bestatten. Der korrekte Umgang mit Verstorbenen wurde sehr detailliert in den „Familienritualen“ des Neo-Konfuzianers Zhu Xi 朱熹 (1130-1200) festgelegt. Rund um die Städte war kaum noch freies Land für Neubauten oder Ackerland zu finden. Ein westlicher Beobachter fragte sich mit Blick auf ein schier endloses Gräberfeld bei Tianjin, ob China eigentlich eher ein Land der Lebenden oder der Toten sei. Mit dem Ende der Kaiserzeit 1912 gab es dann erste Reformbestrebungen für den Umgang mit den Toten, die sich u.a. in zwei ersten kommerziellen Friedhofsprojekten nach europäischem Vorbild in Beijing in den 1930er Jahren manifestierten.
Die Gründung der VR China brachte eine „Bestattungsreform“, die bis heute andauert. Mao Zedong selber forderte in einem 1956 veröffentlichten Dokument, dass hohe Kader – er selbst eingeschlossen – mit gutem Vorbild vorausgehen und die Einäscherung wählen sollten. Schon in den frühen 1950er Jahren wurden bestehende Friedhöfe (vor allem zahlreiche Ausländerfriedhöfe) umgesiedelt und aufgelöst und in Bauland oder Parks verwandelt. In der Kulturrevolution waren die meisten bestehenden Friedhöfe sich selbst überlassen und oft Schauplätze von Gewalt und Zerstörung.
In den 1980er Jahren wurden sie nach und nach wieder renoviert, und ab den 1990ern gab es auch Neugründungen. Für die knapp 100.000 Menschen, die jährlich in Beijing sterben, existieren heute etwa 100 offiziell genehmigte Friedhöfe, wovon 33 in die Kategorie öffentlich bzw. kommerziell gemanagt fallen. Kaum ein Tourist bekommt aber je einen Friedhof in China zu sehen und auch für die Bewohner spielen sie im Alltag kaum eine Rolle. Woran liegt das? Und wie sehen moderne städtische Friedhöfe heute aus?
In ihrem Vortrag nimmt Maja Linnemann Sie mit auf einen Spaziergang über mehrere Pekinger Friedhöfe und gibt Einblicke in die aktuellen Bestattungsbräuche, aber auch in das gesellschaftliche und regulatorische Umfeld, in dem diese Bräuche ausgeübt werden.
Maja Linnemann studierte Sinologie in Bremen, Chengdu, Hamburg und London. Sie lebte 14 Jahre lang in Peking, wo sie unter anderem als Chefredakteurin der CHINA Nachrichten an der Österreichischen Außenhandelsstelle und als Chefredakteurin des Deutsch-Chinesischen Kulturnetzes für das Goethe-Institut tätig war. Von 2013 bis 2018 baute sie als Geschäftsführerin das Konfuzius-Institut Bremen mit auf. Seit Anfang 2019 ist sie freiberuflich als Autorin und Übersetzerin aus dem Chinesischen und Englischen tätig, unter anderem für das Projekt STADTMACHER China – Europa und das Goethe-Institut China. 2020 erschien ihr Buch Letzte Dinge. Tod und Bestattungskultur in China im Drachenhaus Verlag. Sie betreibt außerdem den Blog Friedhofswelten über Orte der letzten Ruhe und alles, was damit zu tun hat.
Mehr unter: https://www.friedhofswelten.de/
Video-Mitschnitt
Das Video ist bis einschließlich 31.10.2021 zu sehen.