Mittwoch, 15. Juni 2011, 18:30–20:00 Prof. em. Dr. Wolfgang Michel: „Pathologen auf der Spur des Herzschlags – Tawara Sunao (1873–1952) und Ludwig Aschoff (1866–1942)“

Als Tawara Sunao 1903 in Marburg bei Ludwig Aschoff eintraf, war er der erste Japaner, den der schon damals berühmte Pathologe zur wissenschaftlichen Betreuung aufnahm. Tawara stammte aus einem kleinen Weiler bei Nakatsu (Präfektur Oita) und war zwei Jahre nach dem ärztlichen Examen an der Kaiserlichen Universität Tokyo auf eigene Kosten nach Deutschland aufgebrochen. Zunächst kamen beide weder menschlich noch fachlich voran. Die geplanten zwei Jahre waren im Nu vorbei. Um nicht mit leeren Händen zurückzukehren, bat Tawara seine Familie um Geld für ein drittes Jahr. Dass der Onkel dafür ein Reisfeld verkaufte, erzählt man sich in Nakatsu noch heute.
Nach zähem Ringen und unzähligen Mikrotomschnitten gelang Tawara schließlich die bahnbrechende Entdeckung der Reizleitung bei Säugetierherzen, die seinen Namen in der Geschichte der Kardiologie verankerte und zur Grundlage für die spätere Entwicklung des Herzschrittmachers wurde. Sein 1906 in Jena gedrucktes Buch machte ihn mit einem Schlag weltweit bekannt. Im selben Jahr wurde er Professor an der Medizinischen Hochschule Fukuoka, die 1911 als Fakultät in die neugegründete Kaiserlichen Universität Kyushu aufging. Der erste Weltkrieg erschwerte den direkten Austausch für einige Jahre, doch in den zwanziger Jahren machte Aschoff eine Reise durch Ostasien, die ihn auch nach Japan und Kyushu führte. Über seine Beobachtungen zur Medizin und Krankenhauswesen in Ostasien berichtete er dann 1927 in einem aufschlussreichen Vortrag, der die Dynamik der medizinischen Modernisierung Japans bezeugt.

Prof. em. Dr. Wolfgang Michel
, bis 2010 Professor für Vergleichende Sprach- und Kulturwissenschaft, Dekan und Vizepräsident an der Kyushu-Universität (Fukuoka), beschäftigt sich mit der Geschichte der Kulturkontakte zwischen Europa und Japan. Mehr unter http://wolfgangmichel.web.fc2.com/.