Mittwoch, 29. Oktober 2008, 18:30–20:00 Michael Wachutka: „Die Rolle des Jinnō shōtōki (1339) im Nationalismus der frühen Shōwa-Zeit und Hermann Bohners Vergleich mit dem Werk Das Dritte Reich (1923)“

Als Hermann Bohner 1914 als Kriegsgefangener aus Tsingtau nach Japan kam, war er nach Studien unter dem berühmten Missionar und Sinologen Richard Wilhelm bereits wohl versiert in der chinesischen Geschichte und klassischen Literatur.
In den Lagern Matsuyama und Bando begann er auch, Japanisch zu lernen und entschloss sich nach seiner Freilassung 1920, seine neue Wahlheimat gründlich zu erforschen.
Auf die entscheidende Frage: „Was ist Japan?“, wurde er dabei unisono auf das Jinnō shōtōki des Kitabatake Chikafusa verwiesen. 1935 schloss Bohner die erste Übersetzung des Werkes in eine westliche Sprache ab; gefolgt 1938 von einem Zusatzband mit peniblem Kommentar und Anmerkungen.
Eine zeitgenössische Rezension davon nannte Jinnō shōtōki „ein Bibelbuch der völkisch-nationalen Weltanschauung Japans und ein national-pädagogisches Standardwerk“.
Trotz starker buddhistischer und chinesischer Einflüsse waren es aber Aspekte der darin ausgedrückten Shintō-Gedanken, die zeitgenössische Leser seit der frühen Meiji-Zeit ansprachen.
Auch eine einflußreiche westliche Nachkriegsanthologie zur japanischen Kulturgeschichte bezeichnet ohne nähere Erläuterung dieses Werk als „das wichtigste Dokument des mittelalterlichen Shintō“.
Da der Ausdruck ‚Shintō‘ aber im gesamten Text nur dreimal benutzt wird, muss zunächst die Art des im Jinnō shōtōki dargestellten Shintō erläutert werden.
Mehr noch, was machte denn nun eigentlich ein Buch, dass sich vor ungefähr 600 Jahren während des damaligen imperialen Schismas für die Rechtmäßigkeit des Südhofes aussprach, anscheinend so wichtig für das Japan des frühen 20. Jahrhunderts? Und wie dachte Bohner selbst darüber?
In seinen Augen konfrontierte eine lebendige Geschichte als „Personalität seiner eigenen Nation“ auch den Autor eines anderen Werkes, das dem Zauber des nationalen Ideals huldigte.
Als Vergleichspunkt zitiert er daher aus Arthur Moeller van den Brucks Das dritte Reich.
Moeller van den Bruck war ein literarischer Bohème und politischer Kommentator, der Hitler mit seinen Ideen inspirierte und das berühmte Konzept eines tausend Jahre überdauernden ‚dritten Reiches‘ prägte.
Dieses neue ‚Tausendjährige Reich‘, wie es in seinem Buch beschrieben wird, „stellt die ewigen Werte der Nation wieder her, ohne die der Mensch den Kontakt mit der Natur und mit Gott verliert“.
Ein solches Reich kombiniert folglich regnum und sacerdotum gerade so wie die im Jinnō shōtōki ausgedrückte ‚ewige und unwandelbare nationale Essenz‘ (kokutai), die der rechtmäßigen Thronfolge der göttlichen Herrscher Japans zugrunde liegen soll.

Michael Wachutka
ist Wissenschaftlicher Angestellter der Abteilung für Japanologie des Asien-Orient-Instituts der Universität Tübingen.
Dem Studienabschluss der Japanologie und Sinologie in Tübingen (Baccalaureus) folgte ein Magister-Studium der Vergleichenden Kulturwissenschaften an der Sophia-Universität in Tokyo.
Nach mehreren Jahren als Research Associate am Institute for Asian Cultural Studies der International Christian University (ICU) in Tokyo erlangte er, zurück in Deutschland, den Dr. phil. der Japanologie.
Neben zahlreichen Artikeln zu verschiedenen Aspekten der japanischen Geistesgeschichte, sind seine größeren Buchpublikationen:
Historical Reality or Metaphoric Expression? — Culturally formed contrasts in Karl Florenz’ and Iida Takesato’s interpretations of Japanese mythology. [2001]
Religion and National Identity in the Japanese Context. [Herausgegeben mit K. Antoni, H. Kubota, J. Nawrocki; 2002].
National Learning (kokugaku) in Meiji-period Japan: Transformation, Proliferation, and Scholarly Societies. [Im Erscheinen, 2008]