Mittwoch, 18. September 2013, 18:30–20:00 Vortrag von Prof. Dr. H. Gottschewski und Dr. Kyungboon Lee: „Franz Eckert und ‚seine‘ Nationalhymnen“

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Kyungboon Lee (Seoul National University) und Hermann Gottschewski (The University of Tokyo) berichten von ihrem japanisch-koreanischen Kooperationsprojekt zu dem „Königlich Preußischen Musikdirektor“ und OAG-Mitglied Franz Eckert und den beiden von ihm ausgewählten und arrangierten Nationalhymnen Kimigayo („Dainippon Reishiki“, Japan 1880/88) und Sangjenŭn Uri Hwangje („Daehan Jeguk Aegukka“, Korea 1901/02).
Beide Hymnen sind Dokumente für die musikalische Modernisierung Ostasiens und gleichzeitig für den Kulturaustausch zwischen Deutschland und Ostasien, da sie auf traditioneller Musik Japans bzw. Koreas aufbauen und für „preußische“ Militärmusik bearbeitet wurden. Diese Zeremonialmusik sollte national und international die Souveränität und Modernität ihrer Staaten zur Schau stellen.

Das in dieser Veranstaltung präsentierte Forschungsprojekt begann mit einer Entdeckung über den bis dahin unbekannten Ursprung der Melodie der koreanischen Hymne. Bisher haben Lee und Gottschewski jeweils einen Aufsatz auf Koreanisch (2012) und Japanisch (2013) zu dem Thema publiziert. Ersterer wurde von der Nationalen Koreanischen Forschungsstiftung als „hervorragende wissenschaftliche Leistung“ prämiert. Weitere Veröffentlichungen zum Thema sind geplant. Mit dem Vortrag am 18. September werden die Forschungsergebnisse zum ersten Mal in deutscher Sprache präsentiert. Zunächst werden Lee und Gottschewski Vorträge zu dem Thema jeweils aus ihrer Sicht halten, danach gibt es Gelegenheit zu einer allgemeinen Diskussion.

1. Vortrag

Dr. Kyungboon Lee: Franz Eckert und die erste koreanische Nationalhymne

In meinem Vortrag möchte ich zunächst über die Hintergründe und den Verlauf unseres Kooperationsprojektes berichten. Anlass unserer Forschungen war die Entdeckung, dass die 1901 von Franz Eckert für die Nationalhymne des koreanischen Kaiserreichs ausgewählte, bearbeitete und harmonisierte Melodie auf einem koreanischen Volkslied beruht, das von dem amerikanischen Missionar und Korea-Forscher Homer Hulbert notiert und 1896 in einem englischsprachigen Magazin in Korea publiziert worden war.
Nach den damaligen asiatischen Vorstellungen hätte die Nationalhymne des jungen Kaiserreichs am ehesten entweder auf der traditionellen Hofmusik (koreanisch A‘ak bzw. japanisch Gagaku) oder auf einer modernen, d.h. europäischen Melodie beruhen sollen. Dass Eckert eine volkstümliche Melodie verwendete, gibt dem Lied musikalisch einen gewissermaßen „demokratischen“ Anstrich. Da dies ganz im Gegensatz zu dem Text — einer aus traditionell-chinesischen, ins Koreanische übersetzten Huldigungsfloskeln bestehenden Kaiser-Panegyrik — steht und wohl auch nicht den politischen Intentionen des damaligen Kaiserhofes entsprach, ist davon auszugehen, dass der Kaiser und die koreanischen Beamten nichts Genaues über die Herkunft der Melodie wussten.

Allerdings wurde das ursprüngliche Lied durch die Anpassung der Melodie an die westliche Tonalität und die Bearbeitung für eine Militärkapelle auch so stark verwestlicht, dass anscheinend kein koreanischer Beteiligter die ursprüngliche Melodie wiedererkannt hat. Jedenfalls kennen wir bisher keine Belege dafür, dass die koreanischen Vertrauten Eckerts darüber informiert waren. Dass Eckert überhaupt koreanisches melodisches Material verwendet hatte, konnte man aber dem Titelblatt des offiziellen Drucks der Hymne entnehmen, und zeitgenössische Hinweise aus Quellen in westlichen Sprachen machen es wahrscheinlich, dass Eckert in seinem europäisch-amerikanischen Bekanntenkreis über die Herkunft der Melodie gesprochen hat.

2. Vortrag
Prof. Dr. Hermann Gottschewski: Traditionelle und westliche Musik als Identitätssymbole der Moderne: Die Nationalhymnen Japans und Koreas um 1900

In meinem Vortrag möchte ich an Klangbeispielen demonstrieren, wie sich das Ringen um eine moderne kulturelle Identität in Japan und Korea auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert musikalisch in den Nationalhymnen Japans und Koreas niederschlug. Ich werde der Frage nachgehen, wie Franz Eckert auf die traditionellen Musikkulturen beider Länder zuging, wer zwischen den Kulturen vermittelte und welche Schwierigkeiten dabei konkret — in rein musikalischer Hinsicht — auftraten. In diesem Prozess lassen sich auf beiden Seiten Defizite des Kulturverständnisses ausmachen: Weder war es Eckert möglich, den musikalischen Sinn seiner Vorlagen richtig zu erfassen, noch konnte die asiatische Seite die von Eckert geschaffene musikalische Struktur durchschauen.

Eine ästhetische Bewertung dieser Hymnen ist daher schwierig. Der Musikwissenschaftler Hermann Abert schrieb nicht ohne tiefe Einsicht in die Materie im Jahr 1900, dass die japanische Nationalhymne als „merkwürdige Kombination altnationaler und allermodernster Elemente“ von „höchstem Interesse“ sei und ihre neu komponierte Melodie „genug des Interessanten“ biete, da sie auf dem traditionellen Tonsystem Japans beruhe; aber eben deshalb sei Eckerts „modern-europäische Harmonisierung […] trotz allem guten Willen doch als ein Versuch am untauglichen Objekt zu betrachten“. Ähnliches ließe sich zur koreanischen Hymne sagen. Der musik- und nationalhistorischen Bedeutung dieser Hymnen wird ein solches Urteil gleichwohl nicht gerecht. Vielmehr können die auf dem Schlachtfeld des Kulturaustauschs unter Verlusten gewonnenen Resultate als „produktive Missverständnisse“ gewürdigt werden, die wichtige Meilensteine in der Entwicklung der modernen Musikkultur gesetzt haben. Diese konnten jedoch nur in Japan ungehindert zur weiteren Entwicklung beitragen, da die koreanischen Ansätze unter dem japanischen Protektorat und später der Kolonialregierung bald unterdrückt wurden.

Hermann Gottschewski studierte Klavier an der Musikhochschule Freiburg sowie Musikwissenschaft, Japanologie und Mathematik an der Universität Freiburg. Nach der Promotion in Freiburg habilitierte er sich für das Fach Musikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2004 ist er Associate Professor an der Graduate School of Arts and Sciences der Universität Tokyo. Weitere Informationen: http://fusehime.c.u-tokyo.ac.jp/gottschewski/

Kyungboon Lee. Studium der Musikwissenschaft und Germanistik an der Universität Marburg. Promotion über Musik und Literatur im Exil. Seit 2010 HK-Research Professor an der Seoul National University. Publikationen zur musikalischen Propaganda im Dritten Reich, Filmmusik und zum Kulturaustausch zwischen Korea, Japan und dem Westen.