Mittwoch, 27. September 2017, 18:30–20:00 Christoph Neidhart: „Gefälschte Geschichte im Film. Oder: Die Oktoberrevolution 1917 fand nicht statt –“

– nicht mit dem Sturm des Winterpalastes als dem entscheidenden Höhepunkt eines Aufstandes, wie es der Gründungsmythos der Sowjetunion wollte und in vielen Geschichtsbüchern steht.

Gestürmt wurde der Winterpalast erst 1920: als Finale eines gigantischen Spektakels in der Regie von Nikolai Efreinov, dem Erfinder der „Theatertherapie“. Die historischen Fotos vom angeblichen Sturm, die sich in den Geschichtsbüchern finden, stammen von diesem Schauspiel. Der Filmer Sergei Eisenstein hat sie als Vorlage für Oktober: Zehn Tage, die die Welt erschütterten als authentische Dokumente verwendet.

Aus dem sowjetischen Geschichtsbuch Der Große Oktober: eine kurze Geschichte, Dokumente und Fotografien von A.P. Nenarokow (1977)
Aus dem sowjetischen Geschichtsbuch Der Große Oktober: eine kurze Geschichte, Dokumente und Fotografien von A.P. Nenarokow (1977)

An diesem Beispiel und am Stummfilm Sturm über Asien (1928, vom sowjetischen Regisseur Wsewolod Pudowkin) zeigt der Vortragende, wie politische Propaganda die Erinnerung manipuliert – nicht nur in der Sowjetunion.

Christoph Neidhart, der Japan-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, berichtete, bevor er 2002 nach Tokyo kam, acht Jahre aus Moskau und St. Peterburg und arbeitete danach vier Jahre als Visiting Scholar am Rußland-Institut der Havard University. Den falschen Sturm des Winterpalasts hat er auch in seinem Buch Russia’s Carnival: The Smells, Sights, and Sounds of Transition behandelt.