Mittwoch, 18. Januar 2017, 18:30–20:00 Timo Thelen: „Moderne Meerjungfrauen: Die ama-Gemeinschaft der Insel Hegura zwischen Tradition und Ökologie“

Das Wort „ama“ setzt sich zusammen aus den Schriftzeichen für „Meer“ und „Frau“ und bezeichnet professionelle Taucherinnen, die ohne Sauerstoffflaschen bis zu 20 Meter tief nach Schnecken, Muscheln und Algen tauchen. Während es in den 1970er Jahren noch etwa 10.000 ama in ganz Japan gab, ist ihre Zahl bis 2013 auf ca. 1.800 gesunken. Die ama der Insel Hegura (Wajima, Ishikawa) stellen heute mit ca. 200 aktiven Taucherinnen die größte zusammenhängende Gruppe dar. Diese Gemeinschaft siedelte vor ca. 400 Jahren von der südwestlichen Hauptinsel Kyushu nach Noto (heute Präfektur Ishikawa) über, lebte dort aber recht isoliert von den Einheimischen bis in die Nachkriegszeit.

Die Insel Hegura im Mai 2015, eigenes Foto
Die Insel Hegura im Mai 2015, eigenes Foto

Bekannt wurden die ama der Insel Hegura auch in der westlichen Welt durch den Bildband Die Insel der Fischermädchen (1963) des Italieners Fosco Maraini, der sie als Inkarnation der mythologischen Meerjungfrauen betrachtete, sowie durch den in Japan spielenden James Bond-Film You Only Live Twice (1967). Gegenwärtig leiden die ama aber unter voranschreitender Überalterung und – bedingt durch den Klimawandel – unter schwindenden Ressourcen, wodurch eine Fortführung ihrer Arbeit gefährdet ist. Seit den späten 2000er Jahren rücken sie deshalb auch in den Fokus von Umweltforschern und Regionalplanern, die ihnen helfen wollen, ihre Traditionen zu erhalten und ihr Potenzial auch touristisch zu nutzen.

Poster auf dem Seeohren-Fest in Wajima, Juli 2015, eigenes Foto
Poster auf dem Seeohren-Fest in Wajima, Juli 2015, eigenes Foto

Mein Vortrag wirft einen ethnografischen Blick auf die ama-Gemeinschaft der Insel Hegura und veranschaulicht ihre Lebensweise, Arbeit und Traditionen. Dabei hinterfrage ich auch ihre gegenwärtige, von außen zugeschriebene Neu-Interpretation im Kontext von „traditionellem ökologischen Wissen“ und nachhaltigem Ressourcenmanagement. Meine Forschung basiert u.a. auf einem mehrtägigen Aufenthalt auf der Insel Hegura im Jahr 2015 sowie auf qualitativen Interviews mit zehn ama-Taucherinnen zwischen 35 und 92 Jahren und mit zwei Vorstehern der Gemeinschaft.

Timo Thelen ist Promotionsstudent und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Modernes Japan an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, wo er auch sein Bachelor- und Master-Studium absolvierte. Studien- und Forschungsaufenthalte führten ihn an die Universitäten Keio (Tokyo), Kanazawa (Ishikawa) und Ryukyu (Okinawa). Seine Forschungsinteressen liegen in der Kultur und Gesellschaft des regionalen Japans. Derzeit ist er als Gastforscher an der Universität Kanazawa (Ishikawa).

Vortrag Timo Thelen: „Die ama-Gemeinschaft“