Freitag, 21. November 2008, 14:00–16:30 Exkursion zur Schule Jiyūgakuen

Stellen Sie sich folgende Situation vor:

Als Yūsuke, 12 Jahre, in diesem April in die erste Klasse der Mittelschule aufgenommen wurde, fand er keinen Tisch vor – er musste sich erst einen bauen. Keiner kocht ihm das Mittagessen – dafür haben er und seine Klassenkameraden selbst zu sorgen. Die Aufnahmeprüfung hatte darin bestanden, einen mehr als vier Meter hohen Turm aus Pappkartons zu bauen – ohne Anleitung, ohne vorheriges Üben und mit drei anderen, ihm unbekannten Kindern. Die Jungen, die im schuleigenen Internat leben, regeln ihr Leben selbst – (fast) ohne Einmischung der Erwachsenen, in altersmäßig heterogenen Gruppen, in denen sich die älteren Schüler wie Brüder um die Jüngeren kümmern.
Eine Sonderschule für Behinderte? Eine Schule für Aussteiger oder Phantasten? Eine Schule in Japan?
Was wie die Pädagogik aus einer völlig anderen Welt anmutet, wird in dieser Schule praktiziert – seit nun fast 90 Jahren.
Jiyūgakuen, frei übersetzt „Freie Schule“, wurde am 15. April 1921 von Hani Motoko und ihrem zweiten Mann Yoshikazu gegründet.
Hani Motoko war die erste Frau in Japan, die sich als fest angestellte Journalistin ihren Lebensunterhalt verdiente, ihr Mann unterstützte sie bei ihrer publizistischen Tätigkeit.
Zusammen gründeten sie die Zeitschrift Fujin no Tomo, die bis heute existiert und vor allem lebenspraktische Themen aufgreift.
Die Gründung und Leitung der freien Schule Jiyūgakuen, die protestantische und konfuzianistische Gedanken mit sehr konkreten Anleitungen für die Bewältigung des täglichen Lebens verbindet, ist das Lebenswerk beider.
Tatsache ist, dass es nie gelang (und vielleicht auch gar nicht angestrebt wurde), weitere Ableger dieser Schule in Japan oder anderen Ländern zu gründen. Dennoch hat es diese eine Schule in Hibarigaoka/Higashikurume-shi im Westen Tokyos geschafft, die turbulenten Kriegsjahre und die Not der Nachkriegszeit zu überstehen und sich im Konkurrenzkampf unter den Privatschulen zu behaupten.
Die Zahl der Bewerbungen um einen Platz liegt über den vergebenen Plätzen; nicht jeder wird aufgenommen. Ausschlaggebend für die Aufnahme ist die Begabung und die Veranlagung des Kindes und – das darf nicht verschwiegen werden – die Einsatzbereitschaft der Eltern.
Die Aufnahmeprüfung testet kein abrufbares, in letzter Minute noch auswendig gelerntes Wissen, sondern Krea-tivität, selbständiges Denken und Handeln, Kooperationsvermögen und Sozialverhalten. Fähigkeiten, die heute ebenso wichtig sind wie damals….
Möglich ist diese Art von Aufnahmeprüfung und Unterricht, weil es sich um eine Privatschule handelt.
Doch ist das Menschen- und Erziehungsideal der Schulbegründer heute noch zeitgemäß?
Finden die Absolventen der Schule einen Platz in der japanischen Gesellschaft oder werden sie zu Außenseitern erzogen?
Wie kommt es, dass es inzwischen Familien gibt, in denen bereits in der vierten Generation Kinder die Schule besuchen?
Handelt es sich um eine nicht konfessionelle, religiöse Gemeinschaft oder gar Sekte?
Welches Frauenbild verbirgt sich in dem Curriculum, das ganz bewusst eine deutliche inhaltliche Trennung in der Erziehung der Geschlechter fordert?
Diese und viele andere Fragen werden uns Lehrer der Schule beantworten.

Nach einem einführenden Vortrag werden wir den wunderschönen, auch botanisch sehr interessanten Campus besichtigen und dann die kunsthandwerkliche Ausstellung besuchen, die alle drei Jahre von den Schülern, Eltern und Freunden der Schule in den teilweise noch historischen Klassenräumen veranstaltet wird.

Anschließend fahren wir nach Ikebukuro zurück und besichtigen dann am Abend das ehemalige Schulgebäude Myōnichikan (siehe auch den separaten Veranstaltungshinsweis). Die Exkursionen I und II ergänzen sich gut, können aber auch unabhängig voneinander wahrgenommen werden.
Angemeldete Teilnehmer erhalten rechtzeitig eine genaue Wegbeschreibung.
Beide Veranstaltungen werden von Frau Roeder geleitet und gedolmetscht.
Kinder sind vor allem bei der Exkursion I herzlich willkommen.
Zwischen den Exkursionen I und II wird eine kleine Verschnaufspause eingelegt.

Zum genauen Ablauf:

Wir treffen uns gegen 13.00 Uhr am Bahnhof Ikebukuro, dort auf dem Bahnsteig der Seibu-Ikebukuro-Linie, im letzten Wagen in Fahrtrichtung.
Der Zug fährt um 13.09 Uhr ab und trifft um 13.24 Uhr in Hibarigaoka ein.
Zu Fuß sind es von dort aus etwa 10 Minuten bis zum Haupttor der Schule.
Der einführende Vortrag beginnt ca. um 13.45 Uhr.
Gelegenheit zur Ausstellungsbesichtigung haben wir dann von etwa 15.00 bis 16.30 Uhr.

Um Anmeldung wird bis zum 19.11. gebeten, entweder telefonisch bei Frau Matsumoto unter 03-3582-7743 oder per E-Mail: tokyo@oag.jp