Mittwoch, 23. September 2015, 18:30–20:00 Dr. Maik Hendrik Sprotte: „Egon Bahr ‒ sein Japanbesuch 1969 und die Frage einer japanischen Atombewaffnung“

Im Februar 1969 besuchte der damalige Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt Egon Bahr (SPD) in seiner Funktion als Leiter des Planungsstabes die japanische Hauptstadt. Bahr (1922-2015) gilt als Vordenker und einer der Architekten der nach 1969 in der sozial-liberalen Regierung unter Führung Willy Brandts umgesetzten „neuen“ Ostpolitik. Zweck des Besuches bundesdeutscher Diplomaten waren die ersten Konsultationen der Planungsstäbe des japanischen und bundesdeutschen Außenministeriums.

Im Zentrum meines Vortrags wird eine zeitgenössische, von Egon Bahr verfasste, streng geheime „Aufzeichnung“ über ein abendliches Gespräch mit einigen Vertretern der japanischen Seite stehen. In diesem Gespräch, so Bahr, sei die Frage einer möglichen bundesdeutschen Unterstützung japanischer Bestrebungen „auf Ebenbürtigkeit als Supermacht“ und eine japanische Option auf eine eigenständige atomare Bewaffnung thematisiert worden. Ich werde auf der Grundlage von Dokumenten der Außenämter der Bundesrepublik Deutschland und Japans und unter Berücksichtigung des zeitgenössischen Hintergrunds (des Japanisch-Amerikanischen Sicherheitsvertrages, der Verhandlungen über die Rückgabe der Inseln Okinawas an Japan sowie japanischer Positionen zum „Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen“) diese Konsultationen untersuchen.

Dr. Maik Hendrik Sprotte: „Egon Bahr ‒ sein Japanbesuch 1969 und die Frage einer japanischen Atombewaffnung“

In einem zweiten Schritt gehe ich der innenpolitischen Wirkung einer im Oktober 2010 vom öffentlich-rechtlichen Fernsehsender NHK ausgestrahlten Dokumentation mit dem Titel „Japan, das ‚Atombomben‘ zu besitzen wünschte: die unbekannte Wahrheit über das Land, das zum Opfer von Atombomben wurde“ („核“を求めた日本―被爆国の知られざる真実) nach. Im Zentrum dieses Dokumentarfilms standen die deutsch-japanischen Konsultationen des Jahres 1969, die im 21. Jahrhundert vor dem Hintergrund der „Drei Prinzipien der Kernwaffenfreiheit“ als politischem Prinzip des japanischen Staates sowie der Existenz japanisch-amerikanischer „Geheimabsprachen“ bezüglich der Einfuhr und Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen in Japan eine besondere Bedeutung in der innenpolitischen Auseinandersetzung zwischen Demokratischer und Liberaldemokratischer Partei erlangten.

Dr. Maik Hendrik Sprotte ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte und am Internationalen Graduiertenkolleg „Formwandel der Bürgergesellschaft. Japan und Deutschland im Vergleich“ (als Kooperation mit der Universität Tokyo) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Schwerpunkte seiner Forschungen liegen im Bereich der historischen Japanforschung. Sein ausführliches Profil findet sich unter http://www.sprotte.name. Er administriert außerdem die internetbasierte „Bibliographie zur historischen Japanforschung“ (http://www.historische-japanforschung.de).