Mittwoch, 16. Dezember 2015, 18:30–20:00 Prof. em. Dr. Wolfgang Seifert: „Ein moderner politischer Denker? Warum ich Maruyama Masao ins Deutsche übersetzt habe.“

Was gab es 1965, als ich in Bonn mit dem Studium begann, an Veröffentlichungen zu Politik und Zeitgeschichte Japans? Mein erster Lehrer in Japanologie, Professor Herbert Zachert, hatte uns nicht nur in die Japanologie eingeführt, sondern auch in die japanische Gegenwartssprache. Doch sich in die genannten Bereiche der Japanologie einzuarbeiten, war nicht einfach, zumal dann, wenn jemand unbedingt von japanischen Autoren erfahren wollte, wie diese selber die Entwicklungen in ihrem Land beschrieben und erklärten.

Eines der wenigen damals zugänglichen Bücher war Maruyamas Thought and Behaviour in Modern Japanese Politics, erschienen 1963 bei Oxford University Press. In seiner Einführung schreibt der Autor, dass sich die Leser wahrscheinlich wundern werden über den „scharfen Ton meiner Kritik an Politik und Gesellschaft Japans“. Doch waren nicht die 1960er Jahre in Deutschland jene Zeit, in der viele, besonders junge Leute das geistige Fundament und die staatliche Organisation der Bundesrepublik der Adenauer-Ära in Frage stellten? Und wurde nicht von den Alliierten der japanische Militarismus mit dem deutschen Nationalsozialismus und dem italienischen Faschismus auf dieselbe Ebene gestellt? Wo also gab es Stimmen in Japan, welche Vergangenheit und Gegenwart kritisch durchleuchteten?

Eine tiefgehende Analyse fand ich in den drei Aufsätzen von Denken in Japan (Original 1961, Übersetzung 1988), die nur auf Japanisch vorlagen und die mein späterer Heidelberger Kollege W. Schamoni und ich übersetzten. Als knapp dreißig Jahre später die Mauer in Berlin fiel, mussten die Ostdeutschen im Prozess der Wiedervereinigung die der Einparteien-Herrschaft der SED entgegengebrachte Loyalität von heute auf morgen „umpolen“ auf das politische System der Bundesrepublik. Diese Loyalitätstransformation war, wenngleich unter historisch völlig anderen Bedingungen vollzogen, in ihrer Intensität doch vergleichbar mit jenem Wandel, den Japan in den Jahrzehnten nach der Meiji-Restauration 1867/68 durchmachte. Mit der Übersetzung von Maruyamas Loyalität und Rebellion konnte die Transformation des damaligen Japan besser verstanden und zugleich das Problem des Übergangs auch als allgemeines genauer erkannt werden. Damit hat sich der Kreis meiner Übersetzungen noch nicht geschlossen.

Prof. em. Dr. Wolfgang Seifert
, Universität Heidelberg, studierte Japanologie, Politikwissenschaft, Philosophie und Soziologie in Bonn, Frankfurt a.M. und Tokyo. Die Promotion erfolgte in Politikwissenschaft, die Habilitation in Japanologie. Bis 2011 lehrte er fast zwanzig Jahre lang als Professor Japanologie mit dem Schwerpunkt „Gesellschaft und Geschichte Japans“ in Heidelberg. Er ist weiterhin in der Forschung tätig und hat im letzten Jahr die Buchreihe „Japan in Ostasien“ im Nomos-Verlag, Baden-Baden, begründet. Außer eigenen Büchern und Artikeln hat er, um japanische Stimmen zu Gehör zu bringen, mehrere Übersetzungen vorgelegt. Zu nennen sind hier vor allem der Ideenhistoriker und Politikwissenschaftler MARUYAMA Masao (1914-1996) und der Sinologe TAKEUCHI Yoshimi (1910-1977).

Ein Publikationsverzeichnis ist auf der Homepage des Instituts für Japanologie der Universität Heidelberg einzusehen unter: http://www.zo.uni-heidelberg.de/japanologie/institut/mitarbeiter/seifert.html. Im August 2015 erschien im Iudicium Verlag, München, eine von U.M. Zachmann und Chr. Uhl herausgegebene Festschrift für ihn unter dem Titel Japan und das Problem der Moderne.