Mittwoch, 11. März 2009, 18:30–20:00 Vortrag Eva Ottmer: „Wie der Finger, der auf den Mond zeigt. Die Bedeutung der Sprache imtibetischen Buddhismus.“

Mantras murmelnde Mönche, bunt flatternde Gebetsfahnen, freundliche Gesichter und eine aufopferungsvolle Hingabe für den Dalai Lama – das sind im allgemeinen die Bilder, die mit dem tibetischen Buddhismus assoziiert werden.
Weniger bekannt ist hingegen, dass in tibetischen Klöstern über Jahrhunderte hinweg eine Erkenntnislehre von höchstem intellektuellen Anspruch lebendig geblieben ist, die ihre Wurzeln im Indien des 6. Jh. n. Chr. hat. Logik und Debatte gehören bis heute zum täglichen Geistestrainig tibetischer Gelehrter.
Ein großer Teil der buddhistischen Erkenntnislehre befasst sich mit Sprache. Das buddhistische Weltbild ist durch ein auffallendes Spannungsverhältnis zwischen Sprachskepsis und Sprachvertrauen gekennzeichnet. Eine Metapher aus dem Lankavatara Sutra bringt dies auf den Punkt: Worte sind wie der Finger, der auf den Mond zeigt. Nur, wer den Blick vom Finger abwendet, kann den Mond erblicken. In derselben Weise können Worte, darin eingeschlossen die buddhistische Lehre, nur einen Fingerzeig geben.
Das Ziel des Buddhismus, die Befreiung vom Leiden und absolutes Erwachen, liegt jenseits von Worten und Begriffen. Sprache wird im Buddhismus also lediglich als ein „geschicktes Mittel“ verwendet, das den praktizierenden Buddhisten in die Lage versetzen soll, die Sprache und mit ihr das begriffliche Denken letztlich abzustreifen.
Ausgehend von diesem Grundgedanken unterzieht die buddhistische Erkenntnislehre die Sprache einer genauen Analyse und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Sprache entbehrt jeder Grundlage in der Wirklichkeit. Im Gegenteil, sie verstellt den Blick auf die wahre Natur der Dinge, der Mensch bleibt in den Strukturen seiner sprachlichen Begriffe gefangen.
Werturteile wie „wahr“ und „falsch“ etwa sind typische Fehlschlüsse, die sich aus einem sprachlich konstruierten Wirklichkeitsbild ergeben. Es sind genau diese Fehlschlüsse, die den Menschen immer wieder leidvollen Erfahrungen aussetzen. Sprache muss deswegen als das entlarvt werden, was sie ist: eine Illusion. Paradoxer Weise tut man dies in der buddhistischen Erkenntnislehre mit Hilfe der Sprache: Logik und die Kunst der Debatte sind die Mittel, mit denen dem begrifflichen Verstand der Boden entzogen werden soll, so lange, bis der Sprung in eine Erfahrungsebene jenseits von Begriffen und Worten vollzogen werden kann.

Eva Ottmer ist Germanistin und Sprachwissenschaftlerin. Sie hat vier Jahre am Karmapa International Buddhist Institut in Neu Delhi buddhistische Erkenntnistheorie, Philosophie und tibetische Sprache studiert. Die Ergebnisse ihrer Forschungen sind in ihrer Dissertation „Finger, die auf den Mond zeigen. Eine Gegenüberstellung europäischer und buddhistischer Sprachtheorien am Beispiel Ferdinand de Saussures und Sakya Panditas“ zusammengefasst. Sie lebt seit fünf Jahren in Japan und arbeitet an der Fukuoka Universität als Germanistin und Dozentin für Deutsch als Fremdsprache.