Mittwoch, 16. April 2008, 18:30–20:00 Annika Thränhardt: Weltweit die Größte – Kaiserin Haruko und die Gründung der japanischen Rotkreuzgesellschaft

Wer als aufmerksamer Betrachter durch ein japanisches Wohngebiet schlendert, wird häufig an Häuser- oder Wohnungseingängen auf ein unscheinbares Schild mit einem einfachen roten Kreuz stoßen, aus dem hervorgeht, dass der betreffende Haushalt Mitglied in der japanischen Rotkreuzgesellschaft (Nippon sekijuujisha) ist. Kaum jemand kennt jedoch die Entstehungsgeschichte und die große politische Bedeutung der Rotkreuzgesellschaft in ihren Anfängen.

Schon 1871 war der offizielle Vertreter der Meiji-Regierung bei der Weltausstellung in Wien Sanō Tsunetani auf die Existenz der 1862 in Genf gegründeten internationalen Rotkreuzgesellschaft aufmerksam geworden und hatte darüber am japanischen Hof berichtet, wo sowohl Fürst Iwakura, der Berater des Kaisers, als auch Kaiserin Haruko großes Interesse an einer solchen Organisation zeigten. In den Wirren der Satsuma-Rebellion wurde dann 1877 eine „Philanthropische Gesellschaft“ unter dem Namen „Haku-aisha“ gegründet, die sich der Rettung verletzter Soldaten im Kampfgebiet widmete.
10 Jahre später wurde diese private Nicht-Regierungsorganisation offiziell in die „japanische Rotkreuzgesellschaft“ umgewandelt.
Die Kaiserin übernahm nicht nur den Ehrenvorsitz, sondern entwarf auch mit eigener Hand das offizielle Emblem, das ein rotes Kreuz im Zentrum mit Bambusblättern und einem darüber schwebenden Phönix zeigt. Sehr bald schon trat diese nationale Organisation dem internationalen Roten Kreuz bei.
Hintergrund für diese Entwicklung waren nicht nur Japans zunehmende imperialistische Ambitionen in Ostasien, sondern auch sein Ringen um Anerkennung als gleichberechtigter Partner in der internationalen Staatenwelt. Das Kaiserreich Japan erhoffte sich damit Fortschritte für seinen Kampf gegen die „ungleichen Verträge“, die als äußerst erniedrigend empfunden wurden.
In Japan selbst stand der Aufbau einer Schwesternausbildung durch die Rotkreuzgesellschaft an erster Stelle. Die Rolle der Kaiserin und einer Reihe von Hofdamen bestand hier in der Aufwertung des Pflegeberufes, der bis dahin nur Hauspersonal überlassen worden war. Die Kaiserin trat häufig medienwirksam in Militärkrankenhäusern auf, wo sie verletzte Soldaten besuchte. Sie machte sich aber auch als großherzige Spenderin – wie es hieß, aus ihrer Privatschatulle – einen Namen.
Nach der Jahrhundertwende kam der Rotkreuzgesellschaft immer größere Bedeutung zu. Ihre Rolle im russisch-japanischen Krieg 1904/5 war sowohl auf hygienischem als auch auf pflegerischem Gebiet immens und kann als kriegsentscheidend charakterisiert werden. Aber auch rein zahlenmäßig hatte die japanische Rotkreuzgesellschaft in dieser Zeit einen Rekord erreicht: Es war weltweit die größte nationale Rotkreuzgesellschaft geworden. Ein überwälti-gender Erfolg für das aufstrebende Japan!

Dr. Anna Maria Thränhardt, Studium der Japanologie, Sinologie und Germanistik an den Universitäten FU Berlin, Erlangen-Nürnberg, Bonn und Bochum. Lehrtätigkeit als Professorin an den Universitäten Löwen (Belgien), Marburg, Halle (Saale) und Düsseldorf.
Zahlreiche Publikationen zum Bereich Sozialpolitik und Entwicklung des Sozial- und Gesundheitssystems sowie der Frauenfrage in Japan.
Lebt zur Zeit in Münster/Westfalen.